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Cornelia Domaschke / Daniela Fuchs-Frotscher / Günter Wehner

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Weltkrieg. Für seine Kollegen setzte er sich als ehrenamtlicher Vorsitzender der<br />

Postgewerkschaft von Niederschlesien ein.<br />

Am 14. Dezember 1924 ereignete sich jedoch eine Familientragödie. An diesem<br />

Tag wählte Julius Löwenberg den Freitod. Zwei Tage später wurde dies vom<br />

Standesbeamten Neumann vom Preußischen Standesamt Breslau V urkundlich<br />

bestätigt. 4 Julius Löwenberg hinterließ seine schwangere 21-jährige Ehefrau, die<br />

er erst vier Monate zuvor, am 9. August 1924, geheiratet hatte und seinen Sohn<br />

Fred, der gerade ein Jahr und acht Monate alt war. Warum es zu dieser Verzweiflungstat<br />

des erst 30-Jährigen kam, erfuhren seine Söhne nie; obwohl sie später die<br />

Mutter und ehemalige Arbeitskollegen des Vaters eingehend befragten, erhielten<br />

sie nur ausweichende Antworten. Fred verarbeitete den Tod des ihm unbekannt<br />

gebliebenen jüdischen Vaters auf seine Weise, in dem er in späteren Interviews<br />

stets 1933 als Todesjahr des Vaters angab. 5<br />

Möglicherweise wollte er damit diesem Tod nachträglich einen Sinn geben,<br />

indem er ihn mit dem Schicksalsjahr verknüpfte, das durch die Machtergreifung<br />

der Nationalsozialisten, das Ende der Weimarer Republik, durch den beginnenden<br />

Terror gegen Juden und durch die Verfolgung Andersdenkender geprägt wurde.<br />

Julius Löwenberg wurde auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in der Flughafenstraße<br />

(ul. Lotnicza 51) im Stadtteil Cosel (Kozanow) 6 beigesetzt. Ein riesiger<br />

Efeu- und Laubteppich bedeckt heute das ca. 12 ha große Gelände und versucht<br />

die Narben zu verhüllen, die durch Friedhofsschändung der Nazis, Kriegseinwirkungen<br />

und Verwahrlosung nach dem Krieg verursacht worden sind. Im dichten<br />

Gestrüpp im einstigen Gräberfeld 25 b / Nr. 22 ist der noch gut erhaltene Grabstein<br />

Julius Löwenbergs mit Davidstern und hebräischer sowie deutscher Inschrift zu<br />

finden. 7<br />

Die junge Witwe Katharina Löwenberg brachte fünf Monate nach dem Schicksalsschlag<br />

am 12. Mai 1925 bei einer Hausgeburt ihren Sohn Julius Martin 8 zur<br />

Welt. Wie schon bei ihrem Erstgeborenen stand ihr dabei hilfreich die Hebamme<br />

Ida Witzleben aus der Paulstraße 28 (ul. Michala Wroclawczyka) zur Seite. Die alleinerziehende<br />

Mutter, die selbst in ärmlichen Verhältnissen in einer Pflegefamilie<br />

groß geworden war, nahm jede Arbeit an, um sich und ihre Kinder durchzubrin-<br />

4 Todesschein von Julius Löwenberg im Besitz von Martin Löwenberg.<br />

5 Interview der Autorin mit Fred Löwenberg am 7. Juli 2003 in Berlin.<br />

6 Auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Wroclaw wurde vor einiger Zeit mit Aufräum- und Sicherungsarbeiten begonnen.<br />

Seit dem 27. August 2006 gibt es in Wroclaw keine eigenständische Jüdische Gemeinde mehr. Sie wurde<br />

in die Organisationsstruktur des Verbundes Jüdischer Glaubensgemeinden in der Republik Polen übernommen,<br />

der nun auch der Friedhof gehört.<br />

7 »Hier ruht mein lieber Mann, unser guter Vater, unser unvergesslicher Sohn, Bruder und Neffe, der Postschaffner<br />

Julius Löwenberg, geb. 27.8.1894, gest.14.12.1924. Tief betrauert von den Seinen.«<br />

8 Urzad Miejski Wroclawia, Urzad Stanu Cywilnego: Auszug aus dem Geburtenregister Breslaus Nr. 721/1925/V –<br />

Löwenberg, Julius Martin.<br />

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