Cornelia Domaschke / Daniela Fuchs-Frotscher / Günter Wehner
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Übergabe an die polnischen Behörden eine Angelegenheit ersten Ranges. Hinzu<br />
kam, dass eine große Zahl von Lebensmitteln aus Angst vor der Vernichtung durch<br />
Kriegseinwirkungen in vielen provisorischen Magazinen, z. B. in Läden, Kellern<br />
u. ä., lagerten. Die dort gesammelten Vorräte erlaubten der Bevölkerung nach der<br />
Kapitulation, die ersten Tage zu überstehen. Außerdem befanden sich in den Hafenspeichern<br />
einige tausend Tonnen Zucker, in den Mühlen Mehl und Getreide<br />
und in den Magazinen eine große Anzahl von gepökeltem Fleisch. Am schnellsten<br />
wurden die Bäckereien durch die alten Besitzer in Gang gesetzt. Im Laufe eines<br />
Monats arbeiteten schon 100 Bäckereien. Als in der Stadt die Lebensmittel knapp<br />
waren, wurden die Mitarbeiter polnischer Institutionen anfangs in Speisesälen versorgt.<br />
Wenn es um die Deutschen ging, so erhielten nur die Personen Lebensmittelzuteilungen,<br />
die arbeiteten. Ihre Zuteilungen waren um die Hälfte geringer als<br />
die Zuteilungen für polnische Mitarbeiter. Um die Verpflegungsangelegenheiten 23<br />
zu vereinheitlichen, legte der Stadtpräsident im Mai die Lebensmittelzuteilungen<br />
fest: für Polen – monatlich 21 kg Brot, 4,5 kg Weizenmehl, 4,5 kg Zucker, 1,5 kg<br />
Fett, 7,5 kg Fleisch, 21 kg Kartoffeln, 0,5 kg Salz, 1,5 kg Getreidekaffee, 300 g<br />
Seife; für Deutsche – 9 kg Brot, 2 kg Weizenmehl, 2 kg Grütze, 0,5 kg Zucker, 1 kg<br />
Fett, 3 kg Fleisch, 12 kg Kartoffeln, 400 g Salz, 300 g Getreidekaffee, 100 g Seife.<br />
Die große Anzahl der Fleischzuteilung für Polen betraf wahrscheinlich die Mitarbeiter<br />
der Verwaltung. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass man den Überschuss<br />
von verdorbenem gepökeltem Fleisch aus den Magazinen loswerden wollte. Ein<br />
Mitarbeiter aus den Kanalisationsbetrieben, Tadeusz Gabryszewski, erinnerte sich,<br />
dass man das zugeteilte Fleisch in Kaliumpermanganat einweichen musste, denn<br />
es war schon verdorben und von großen lebenden Maden durchsetzt. Aber die von<br />
sechs Jahren Krieg ausgehungerten Polen würzten es mit viel Paprika und Pfeffer.<br />
Eine Folge war, dass viele über Magenbeschwerden klagten. 24<br />
Zahlreiche Einwohner der Stadt suchten Lebensmittel in Ruinen, Kellern und<br />
verlassenen Wohnungen. Oft lagerten die Lebensmittel bei den Herstellerfirmen.<br />
Diese aufzusuchen war eine Notwendigkeit, denn über längere Zeit waren die<br />
Geschäfte nicht in Betrieb. Dafür entstand sehr schnell das Marktwesen, wo der<br />
Tauschhandel blühte. Die deutsche Bevölkerung tauschte gewöhnlich Schuhe und<br />
andere Industrieartikel gegen Lebensmittel, die aus Zentralpolen mitgebracht worden<br />
waren. Wenn es um Valuten ging, so waren bis Ende Juli 1945 die deutsche Mark<br />
und der polnische Zloty in Umlauf, in der Relation eine Mark gleich zwei Zloty. So<br />
war es bis Ende Juli. Vom 1. August an gab es nur eine Währung, den Zloty.<br />
23 Die Abteilung Verpflegung der Stadtverwaltung leitete der diplomierte Major der Versorgungseinheit aus der<br />
Vorkriegszeit Aleksander Nizynski, während des Krieges war er Quartiermeister des Warschauer Gebietes der<br />
Landesarmee.<br />
24 Siehe Tadeusz Gabryszewski: Odbudowa sieci kanalizacyjnej, in: Trudne dni, Bd. II, S. 253-254.<br />
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