Cornelia Domaschke / Daniela Fuchs-Frotscher / Günter Wehner
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Martin erinnert sich: »Ich hatte unser Haus als großes schönes Haus mit vier<br />
Stockwerken in Erinnerung – mit großen Fenstern und großer Tür. Vor der Tür<br />
haben wir uns immer als Clique getroffen. Denn zu der Zeit hat sich alles draußen<br />
abgespielt. Wir sind dann in den zweiten Stock raufgegangen, denn dort haben wir<br />
gewohnt. Die Treppen haben immer noch so geknarrt. Die Holzdielen mussten die<br />
Frauen jede Woche mit Scheuersand abscheuern. Das habe ich so in Erinnerung.<br />
Das Treppengeländer hat bei uns immer so gewackelt, weil wir runtergerutscht<br />
sind. Gewackelt hat es immer noch. Es war runtergewirtschaftet. Der Anstrich<br />
in der Wohnung war, glaube ich, noch der gleiche. Wir haben nach hinten raus<br />
gewohnt. Dort war ein schöner Hof. In dem Hinterhof haben wir Kinder Fußball<br />
gespielt.« 9 Die Wohnungen hatten keine eigenen Toiletten und keine Bäder, aber<br />
fließendes Wasser. Mehrere Familien mussten sich die Toilette auf dem Flur teilen.<br />
Gebadet wurde freitags im Wannen- und Brausebad in der Paulstraße. Auch<br />
Hausgemeinschaften hat es gegeben, die zur Freude der Kinder und ihrer Eltern<br />
Sommerfeste auf dem Hof mit selbstgebackenem Kuchen und Lampionumzügen<br />
organisierten.<br />
Vom September 1931 ist ein Foto erhalten. Es zeigt Katharina Löwenberg im geblümten<br />
Kleid. Rechts von ihr steht Martin mit hellen blondgelockten Haaren und<br />
Brille. Links an der Hand führt sie Fred. Die drei hatten sich zu einem Spaziergang<br />
in den Scheitniger Park (Park Szczytnicki) im Osten der Stadt aufgemacht. Mit<br />
den lockigen Haaren hatte Martin als Kind große Probleme. Er mochte sie nicht und<br />
versuchte sie mehrmals am Tag mit Wasser zu glätten. Ein Friseur zeigte sich jedoch<br />
begeistert von Martins Haarpracht – er verwendete sie als Puppenhaare. Der<br />
Scheitniger Park war überhaupt für die Löwenbergs ein favorisiertes Ausflugsziel.<br />
In einem der Biergärten arbeitete »Tante« Gertrud , die den Jungs immer etwas zusteckte.<br />
Katharina Löwenberg versuchte so gut es ging, sich Zeit für ihre Söhne zu<br />
nehmen. Gern erinnert sich Martin an gemeinsame Dampferfahrten auf der Oder.<br />
1931 war Martin in die konfessionslose Freidenkerschule am Lehmdamm (ul.<br />
Boleslawa Prusa), die Fred bereits besuchte, eingeschult worden.<br />
Die Löwenberg-Kinder wuchsen mit sozialdemokratischem Gedankengut<br />
auf, wurden Mitglieder der Jugendorganisation »Die Falken«. Der gesellschaftliche<br />
Mittelpunkt der Arbeiterparteien und Gewerkschaften in Breslau, so erinnert<br />
sich Martin, konzentrierte sich vor 1933 auf das Gewerkschaftshaus in der Nähe<br />
der Kaiserbrücke in der Margaretenstraße (ul. Mazowiecka 17). Hier fanden die<br />
Falkentreffen statt, Geburtstage und Hochzeiten wurden dort gefeiert.<br />
Das Gewerkschaftshaus, in den Jahren 1912 bis 1913 von Baumeister Max<br />
Matthis für die Gewerkschafts-Baugesellschaft Breslau errichtet, war von impo-<br />
9 Interview der Autorin mit Martin Löwenberg am 22. und 23. Juli 2009 in München.<br />
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