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Cornelia Domaschke / Daniela Fuchs-Frotscher / Günter Wehner

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1945 die Verwaltung der Stadt an Polen übergab. Dies hielt sie jedoch nicht davon<br />

ab, alles Brauchbare an unzerstörten Maschinen, Einrichtungsgegenständen,<br />

Kunstwerken u.s.w. zu demontieren und als Reparationsleistung mitzunehmen.<br />

Aus Breslau wird Wroclaw<br />

Für die Löwenberg-Brüder war die Leidenszeit in den Konzentrationslagern zu<br />

Ende. Martin machte sich auf den Weg nach Breslau, wo er Ende Mai 1945 ankam.<br />

Zunächst fuhr er mit einem polnischen Rot-Kreuz-Transport. Die letzten 100<br />

bis 120 km lief er zu Fuß. Die zerstörte Stadt erkannte er nicht wieder. Nur mit<br />

Mühe gelang es ihm, sich inmitten der Trümmerwüste zurechtzufinden. Mit Erleichterung<br />

sah er, als er von der Stern- in die Hirschstraße einbog, dass das Haus<br />

mit der Nummer 75 noch stand. Überglücklich lagen sich Martin und seine Mutter<br />

in den Armen. Von den jüdischen Verwandten väterlicherseits und von Fred hatten<br />

sie keine Nachricht.<br />

Dass Martin bereits wenige Wochen später Breslau für immer verlassen würde,<br />

ahnten sie zu diesem Zeitpunkt nicht. Die Lage in der Stadt war unübersichtlich<br />

und chaotisch. Einfache sowjetische Besatzungssoldaten fühlten sich als »Kommandanten«<br />

und ließen das jeden spüren. Ihre Alkoholexzesse wirkten abstoßend.<br />

Die Gewalt auf den Straßen brachte neue Opfer. Der Krieg hatte Sieger und Besiegte<br />

verrohen lassen. Martins Ausweis, den er nach der Entlassung aus dem KZ<br />

Leitmeritz erhalten hatte, wurde bei der erstbesten Militärkontrolle von einem sowjetischen<br />

Soldaten zerrissen, obwohl der Ausweis auch in Russisch den Hinweis<br />

enthielt, dass dem Besitzer jede Hilfe zuteil werden sollte.<br />

Martin meldete sich bei der Sowjetischen Militärkommandantur, mit dessen<br />

Vertretern er zusammenarbeitete. Er bekam die Auflage, Namen aktiver Nazis zu<br />

nennen. Er half mit, sie aufzuspüren und festzunehmen. Mit einem jungen sowjetischen<br />

Leutnant, der Deutsch sprach, verstand er sich gut. Dieser reagierte aufgeschlossen,<br />

als Martin ihm ein sowjetisch-deutsches Freundschaftsfußballspiel<br />

vorschlug. Das Spiel fand auf dem VfB-Platz 41 im Olympiastadion statt. 42 Martin<br />

ist heute noch stolz darauf, das erste Fußballspiel nach der Befreiung in Breslau<br />

organisiert zu haben. Viele deutsche Zuschauer kamen zu diesem Ereignis,<br />

welches etwas Normalität in die chaotische Zeit brachte. Martins Sportsgeist war<br />

wieder geweckt: »Draußen stehen, hätte ich nicht gekonnt.« 43 Seine Mannschaft<br />

41 VfB – Verein für Bewegungsspiele<br />

42 Der Name Olympiastadion ist irreführend. Es war nie für Olympische Spiele geplant worden. Das Stadion wurde<br />

nach einem Entwurf des Architekten Richard Konwiarz von 1926 bis 1928 erbaut und 1935 bis 1939 erweitert.<br />

Konwiarz erhielt für seine Entwürfe bei einem Architekturwettbewerbs anlässlich der Olympischen Spiele 1932<br />

in Los Angeles eine Olympische Bronzemedaille.<br />

43 Interview der Autorin mit Martin Löwenberg am 22. und 23. Juli 2009 in München.<br />

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