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Cornelia Domaschke / Daniela Fuchs-Frotscher / Günter Wehner

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zis klopften. Für Irmgard war klar, dass sie etwas gegen den Nationalsozialismus<br />

unternehmen muss.<br />

In einem Interview erwähnte sie, dass die Situation der linken Parteien, die<br />

keine Einheitsfront zum Kampf gegen den Nationalsozialismus bilden konnten,<br />

ein Hindernis für den antifaschistischen Kampf darstellte. Die schon lang andauernde<br />

Spaltung der Arbeiterbewegung, aber auch innenpolitische Differenzen,<br />

waren die Gründe dafür. Die SPD-Führung konnte sich nicht zu einem entschlossenen<br />

Handeln durchringen, und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)<br />

beharrte auf der »Sozialfaschismus«-These. Diese unüberbrückbaren Gegensätze<br />

führten dazu, dass die Einheitsfront, die gerade von den Basisverbänden der beiden<br />

Parteien vielerorts gewünscht wurde, in dieser zeitlichen Phase scheiterte und<br />

der Nationalsozialismus von der Spaltung profitierte. Bei der ersten Wahl nach<br />

der Machtergreifung der Nazis am 5. März 1933 erreichte die NSDAP zusammen<br />

mit der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot rund 50 Prozent der Stimmen in Breslau.<br />

14 Diese Wahl war jedoch keine freie Wahl mehr, die meisten Kandidatinnen<br />

und Kandidaten der linken Parteien waren schon im Vorfeld verhaftet worden.<br />

Mit der Machtübernahme änderte sich auch das Straßenbild in Breslau. Walter<br />

Tausk 15 beschrieb dies wie folgt: »Seit dem 13.2. ziehen jeden Tag punkt halb<br />

neun an exponierten Ecken und Plätzen der Stadt Nazileute mit großen Fahnen,<br />

Zeitungsaushängen und vor allem ›Klingelbüchsen‹ auf und werben mit mächtigem<br />

Stimmaufwand bis spät abends für den Wahlfonds.« 16 Er notierte, wie die<br />

Nazis tagtäglich mit Aufmärschen, Fackelzügen und Versammlungen auftraten.<br />

Diese Aufzüge veranstalteten SA-Truppen mit alten Stahlhelmen aus dem Ersten<br />

Weltkrieg, auf denen vorn in der Mitte ein Hakenkreuz herausstach. Die jungen<br />

Männer der SA beschrieb Walter Tausk als »höchstens achtzehn bis zwanzig Jahre<br />

alt, die Gummiknüppel am Koppel tragen, ohne der Hilfspolizei anzugehören.<br />

In den Außenvierteln greifen diese Bengel Frauen und Mädchen an, von denen<br />

sie glauben, dass sie SPD und KPD sind! Und sie prügeln am hellen Tag auch<br />

wahllos in der Innenstadt herum! Die Polizei sieht nichts davon!« 17 Er schilderte<br />

Situationen im März 1933, zum Beispiel, dass »sechs bis acht SA-Leute[n] mit<br />

vorgehaltenen Revolvern in die Wohnungen reicher jüdischer Kaufleute, und zwar<br />

›nach Listen‹, [eindrangen] und […] dort von den Anwesenden alles im Hause<br />

14 Der Zweite Weltkrieg und die Schlesische Niederlage (1939–1945), S. 117.<br />

15 Walter Tausk war Kaufmann in Breslau und Schriftsteller. Als Sohn einer eingewanderten jüdischen Familie aus<br />

Polen wandte er sich jedoch dem Buddhismus zu. Bekannt wurde er durch die Tagebücher, die er von 1933 bis<br />

1940 in Breslau geschrieben hatte. Als Augenzeuge der Vorfälle in der schlesischen Hauptstadt hinterließ er ein<br />

Zeitdokument über das Ausmaß der gewalttätigen Übergriffe und Zerstörungen von Breslau. Vermutlich verstarb<br />

er 1941 im Ghetto von Kowno, Litauen.<br />

16 Tausk: Breslauer Tagebuch 1933–1940, S. 28<br />

17 Ebenda, S. 34 .<br />

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