Cornelia Domaschke / Daniela Fuchs-Frotscher / Günter Wehner
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faschistischen Gräueltaten in den Konzentrationslagern zu berichten. Weiterhin<br />
hätte er über die Bedeutung des Potsdamer Abkommens referiert.<br />
In Wroclaw war die noch verbliebene deutsche Bevölkerung staatenlos und<br />
vogelfrei. Es gab willkürliche Übergriffe. Das Verhältnis zwischen Polen, Russen<br />
und Deutschen zu jener Zeit schilderte Fred als außerordentlich kompliziert und<br />
gespannt. Die deutsche Selbstverwaltung und Vertreter der Roten Armee arbeiteten<br />
relativ gut zusammen. Mit der polnischen Verwaltung war kaum ein Miteinander<br />
möglich. »Sie wollten nicht mit uns zusammenarbeiten, auch nicht mit<br />
Linken, nicht mit Sozialdemokraten und nicht mit Kommunisten.« 50 Für Polen<br />
waren die Wunden der deutschen Besatzung noch frisch, die deutschen Kriegsverbrechen<br />
allgegenwärtig. Für Fred sollte der Versuch einer Streitschlichtung auf<br />
dem Schwarzmarkt auf dem Scheitniger Stern, der zu seinem betreuten Bezirk<br />
gehörte, schwerwiegende Folgen haben. Schwarzmärkte waren zu dieser Zeit in<br />
Wroclaw nichts Ungewöhnliches. So versuchten die verbliebenen Deutschen, ihre<br />
Sachwerte wie Schmuck, Wäsche oder Bettzeug bei der polnischen Bevölkerung<br />
gegen Lebensmittel einzutauschen. Speck, Wurst und Butter waren dabei besonders<br />
begehrt. An dem Streit waren ein Pole mit Namen Stanislaw Wolbrowski, der Fred<br />
aus Buchenwald kannte und eine Deutsche beteiligt. Diese wollte ihr Federbett gegen<br />
Butter eintauschen. Als Fred merkte, wie die Frau von Wolbrowski betrogen<br />
werden sollte, stellte er sich schützend an ihre Seite. Daraufhin beschimpfte Wolbrowski<br />
wider besseren Wissens Fred lautstark als SS-Mann und rief die Miliz.<br />
Nach seiner polizeilichen Festnahme 51 geriet Fred am 21. März 1946 in die<br />
Fänge des Bezirksamtes für Öffentliche Sicherheit (WUBP) 52 . Die Anordnung<br />
kam von Alojzy Gryglewicz, dem stellvertretenden Leiter der Abteilung I., Bereich<br />
I. Die Abteilung I. hatte sich dem Kampf gegen deutsche Spionage und Reste<br />
des Hitleruntergrundes in Polen zur Aufgabe gemacht. Der Bereich I. kümmerte<br />
sich um die Aufdeckung einer deutschen Agentur Volksdeutscher und anderer<br />
deutscher Dienste. Des Weiteren warb er auch Leute an, um feindliche Kräfte<br />
aufzudecken. Gleichzeitig leitete er Stadt- und Kreisämter für Sicherheit an.<br />
Fred, der während des Faschismus konspirativ gearbeitet und den Überlebenskampf<br />
im KZ geführt hatte, spürte instinktiv die neue existenzielle Gefahr, die auf<br />
ihn zurollte. Dem hilflos ausgeliefert, machte er sich bei seiner Festnahme – einen<br />
Ausweis hatte er nicht bei sich – spontan ein Jahr jünger. Er gab als Geburtsdatum<br />
den 19. April 1924 an. Damit war er 22 Jahre alt und hoffte noch als Jugendlicher<br />
behandelt zu werden. Dieses Geburtsjahr korrigierte Fred auch später nicht mehr.<br />
50 Interview der Autorin mit Fred Löwenberg am 7. Juli und 21. August 2003 in Berlin.<br />
51 Am 8. Februar 2006 konnte die Autorin die Akte von Fred Löwenberg im Institut des Nationalen Gedenkens<br />
(IPN) in Wroclaw einsehen. Ihr Dank gilt dem Direktor Prof. Wlodzimierz Suleja.<br />
52 Bezirks- oder Wojewodschaftsämter für Öffentliche Sicherheit waren die Territorialorgane des Ministeriums für<br />
Öffentliche Sicherheit, dessen Vorläufer bereits im Juli 1944 in Moskau gebildet worden waren.<br />
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