Cornelia Domaschke / Daniela Fuchs-Frotscher / Günter Wehner
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Viele Restaurants lockten Feinschmecker und Musikliebhaber, z. B. mit Jazz.<br />
Die Presse brandmarkte besonders, dass deutsche Melodien gespielt wurden. Einige<br />
der Lokalitäten offerierten eine regionale Küche, z. B. das am Markt gelegene<br />
Restaurant »Rarytas«, das Warschauer Küche anbot. Viele Namen wiesen auf<br />
die regionale Herkunft der polnischen Ansiedler hin. Ansiedler aus den ehemaligen<br />
Ostgebieten der Republik (kresy) lockten mit Restaurants wie Kresowianka,<br />
Lwowskie Piekielko (Lemberger Hölle), Bar Ta joj, Bar Lwowski (Lemberger<br />
Bar), Gospoda Warszawska (Warschauer Herberge), Cukiernia Warszawska<br />
(Warschauer Konditorei).<br />
Außerdem gab es Konditoreien und Bäckereien mit Namen Warschau, Kielce,<br />
Poznan, Lwow (Lemberg). In den Lokalen wurden regionale Leckerbissen wie<br />
Piroggen, Kolduny 27 , Teigtaschen (Kulebiaki) 28 , Kartätschen (Kartacze) 29 , weißer<br />
und roter Barschtsch, Kaltschale und anderes serviert. Nach Zählungen der Tageszeitung<br />
»Pionier« gab es im Februar 1946 in Wroclaw rund 600 gastronomische<br />
Einrichtungen.<br />
Neben Restaurants und Bars entstanden schnell Kantinen für ein nicht allzu begütertes<br />
Klientel. So eine Einrichtung eröffnete die Caritas bereits im September<br />
1945 in der Schmiedebrücke-Straße. Im Februar 1946 nahm die religiöse Jüdische<br />
Vereinigung einen rituellen jüdischen Speiseraum für die ärmste Bevölkerung in<br />
Betrieb. 30 Auch das Komitee für Soziale Betreuung eröffnete im März 1946 eine<br />
Volksküche. Sie wurde vor allem von Umsiedlern und armen Studenten genutzt.<br />
Eine Spezifik dieser Zeit waren die sogenannten fleischlosen Tage, die wegen<br />
Fleischmangels auf dem Markt eingeführt wurden. Montags durften in Speisesälen<br />
und gastronomischen Einrichtungen nur Mehlspeisen ohne Fleisch serviert<br />
werden. Im ersten Nachkriegsjahr sabotierten außer den Speisesälen private Betriebe<br />
diese Anordnung. Jedoch hielt die Mehrheit der Polen, Katholiken, streng<br />
das Fasten am Freitag ein. Die Behörden rechneten damit, dass sich auf diese<br />
Weise der Fleischkonsum reduzieren ließ.<br />
Ein weiteres großes Problem der Stadt stellte die zerstörte Infrastruktur dar.<br />
Die erste Aufgabe der Stadtväter war die Räumung der Straßen von Trümmern<br />
27 Koldun – kleine oder mittlere Größe einer Pirogge (gefüllte Teigtasche), hergestellt aus Mehl guter Qualität,<br />
Eiern, Back- oder Bierhefe, angerührt mit warmer Milch und einer Prise Zucker, eine traditionelle Speise der<br />
litauischen Küche, mit verschiedenen Füllungen versehen. Die häufigsten Füllungen sind: Fleisch, Zwiebel und<br />
Pilze, aber auch Käse. Sie werden ausschließlich im Ofen oder Backofen gebacken, wo sie auseinanderfallen. Ein<br />
kleinerer Koldun heißt Koldunka.<br />
28 Kulebiak – eine Speise aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten, eine große gebackene Pirogge mit Fleischfül- Fleischfüllung<br />
(manchmal auch Fisch) mit Gemüsebeigabe, Reis und Gewürzen.<br />
29 Auch Zeppeline genannt. Eine original litauische Speise. Besonders bekannt in der Gegend von Punsk und Sejn,<br />
aber nicht nur dort. Sie wird aus Kartoffeln, Fleisch, Zwiebeln und Gewürzen zubereitet. Kartätschen, das sind<br />
bildhaft gesprochen, große ovale Kartoffelnudeln mit Fleischfüllung. Der Teig ist ähnlich wie bei den Zeppelinen.<br />
Der Unterschied besteht in der Form. Die Kartätschen sind rund und die Zeppeline sehen wie Zigarren aus.<br />
30 Eintritt gab es nur für Mitglieder der Vereinigung auf Vorzeigen des Mitgliedsausweises.<br />
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