Cornelia Domaschke / Daniela Fuchs-Frotscher / Günter Wehner
Cornelia Domaschke / Daniela Fuchs-Frotscher / Günter Wehner
Cornelia Domaschke / Daniela Fuchs-Frotscher / Günter Wehner
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
fene Tbc auskuriert werden konnte. Wieder in Breslau verdingte er sich als Fahrradkurier.<br />
Mit einem Dreirad für die Firma Hauk, die Schreibmaschinen verlieh,<br />
kam Fred viel herum. Er belieferte vor allem kleine Firmen und Handwerker, die<br />
am Monatsende Schreibmaschinen benötigten, um ihre Rechnungen zu schreiben.<br />
Später arbeitete Fred im Kino Zentral-Theater, Westendstraße 50-52 (ul. Zachodnia)<br />
in der Tschepine (Szczepin) als Filmvorführer und Kartenabreißer. Dieser<br />
Stadtteil Breslaus besaß einen etwas verrufenen Charakter. Auf engstem Raum<br />
in Mietskasernen zusammengepfercht, lebten hier größtenteils arme Familien,<br />
darunter Arbeiter solcher Großbetriebe wie die der Linke-Hofmann-Werke. Die<br />
Tschepine wurde während des Kampfes um die Festung Breslau zum Ende des<br />
Krieges nahezu komplett zerstört. Noch bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts<br />
waren polnische Bauarbeiter damit beschäftigt, Schutt und Ruinen zu<br />
beseitigen. Der Wroclawer Historiker Marek Ordylowski 21 erinnert sich genau an<br />
die Ruinenlandschaft in dieser Zeit, an die meterhohen Trümmer, die ihm als Kind<br />
unheimlich und furchteinflößend erschienen sind. Heute dominieren in Großplattenbauweise<br />
gebaute Häuser die Siedlung Szczepin.<br />
Als Fred im Frühjahr 1943 seiner Mutter und seinem Bruder verriet, dass seine<br />
Verhaftung unmittelbar bevorstünde, waren die beiden entsetzt, zumal sich ein<br />
freudiges Ereignis angekündigt hatte: Freds zukünftige Vaterschaft. Doch die<br />
Freundin von Fred, Edith Blaschke, war noch keine 18 Jahre alt und »arisch«.<br />
Fred hatte das hübsche Mädchen in der Tschepine kennengelernt. Liebe fragt nicht<br />
nach politischer Vernunft. Als Halbjude erfüllte Fred den Tatbestand der Rassenschande.<br />
Die widerlichste Darstellung dieses »Vergehens« hatten die Nazis bereits<br />
1940 in dem Veit-Harlan-Film »Jud Süß« auf Zelluloid gebannt. Nach seiner Verhaftung<br />
konnte Freds Mutter ihren Sohn noch einmal sehen. Martin Löwenberg erinnerte<br />
sich, dass eines Abends ein Mitarbeiter des Breslauer Erzbischofs Kardinal<br />
Adolf Bertram in ihrer Wohnung in der Hirschstraße erschien und ihnen mitteilte,<br />
dass Fred einem Arbeitskommando zugeteilt worden ist, das im Dom Arbeiten<br />
mit Löschkalk zu verrichten hätte. Sofort machte sich Katharina Löwenberg zum<br />
angegebenen Termin auf den Weg, um ihrem Sohn Wäsche und etwas Essen zu<br />
bringen. 22<br />
Am 23. Dezember 1943 wurde Fred nach sechswöchiger Gestapohaft in das<br />
KZ Buchenwald eingeliefert. Dort nahmen sich die politischen Häftlinge aus<br />
Breslau seiner an; denn der Name des Gewerkschafters Julius Löwenberg war<br />
ihnen ein Begriff. Fred erhielt den Roten Winkel, der ihn als politischen Gefangenen<br />
auswies. Somit gehörte er zum politischen Block. Einige Wochen vorher, am<br />
21 Die Autorin verdankt Prof. Marek Ordylowski viele Informationen zur Geschichte Wroclaws.<br />
22 Interview der Autorin mit Martin Löwenberg am 25. März 2012 in München.<br />
20