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Cornelia Domaschke / Daniela Fuchs-Frotscher / Günter Wehner

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Kein Wunder, dass sich bei seiner Verhaftung durch die Gestapo im Mai 1941<br />

in der Stadt das Gerücht verbreitete, auf Pfarrer Scholls Schreibmaschine seien<br />

im Herbst 1939 Flugblätter gegen den Krieg verfasst und dann verbreitet worden.<br />

Das konnte ihm zwar nicht nachgewiesen werden, doch hatte er die antinazistischen<br />

Texte, deretwegen er in Haft genommen wurde, im Frühjahr 1941 von einem<br />

Soldaten erhalten, der im Herbst 1939 in Auras einquartiert gewesen und mit<br />

dem er wohl in engerem Kontakt geblieben war. 39 Es handelte sich bei den zwei<br />

Schriften, die Martin Scholl übergeben worden waren, um religiöse Weissagungen<br />

des Theologiestudenten Johannes Cierpke, nach denen der Katholizismus sich erst<br />

nach Siegen der Gottlosen – als solche wurden die Nationalsozialisten bezeichnet<br />

– vollständig durchsetzen werde. Nach Auffassung des Gerichts enthielten<br />

die Schriften »von niedriger Gesinnung zeugende böswillige Äußerungen über<br />

leitende Persönlichkeiten des Staates und von Einrichtungen der NSDAP. Die Nationalsozialisten<br />

werden als gottlos, ihre Führung als Luzifer bezeichnet. Ihnen<br />

wird Raub, Plünderung und Verwüstung des Weinbergs des Herrn nachgesagt, die<br />

nationalsozialistische Weltanschauung wird als Irrlehre bezeichnet, die SS wird<br />

den Rot-Milizen in Spanien gleichgestellt.« 40 Martin Scholl hatte diese Schriften<br />

nicht nur selbst gelesen und natürlich auch nicht angezeigt, was nach Meinung der<br />

Nazis korrekt gewesen wäre, sondern sie an seinen Amtsbruder Oskar Bänsch in<br />

der Nachbargemeinde Schebitz weitergereicht. Dieser hatte sie seiner Schwester<br />

Helene Bänsch, der Ursulinerin Tarsatia, in Oberweistritz zum Lesen übergeben,<br />

die sogar auszugsweise zwei Abschriften davon anfertigte. Beide wurden nach<br />

Abbüßung der Strafhaft nicht freigelassen, sondern in die berüchtigte Schutzhaft<br />

genommen und überlebten das Ende der Naziherrschaft in einem Konzentrationslager.<br />

Während die Breslauer Kirchenführung trotz Bemühungen der Schwester<br />

Martin Scholls nichts zur Verteidigung des Pfarrers unternahm, setzte sich Hans<br />

Georg von Gilgenheimb, ein Mitglied der Auraser katholischen Gemeinde, für die<br />

Gewinnung eines Wahlverteidigers ein. 41 Martin Scholl wurde am 1. Juni 1942<br />

gemeinsam mit dem Pfarrer von Schebitz und dessen Schwester nach dem Heimtückegesetz<br />

von 1934 wegen Billigung und Verbreitung nazifeindlicher Schriften<br />

unter Anrechnung der Untersuchungshaft zu einem Jahr und drei Monaten Ge-<br />

39 Dazu und zum Folgenden: Urteil des II. Sondergerichts beim Landgericht Breslau vom 1.6.1942, in: Bundesarchiv<br />

Berlin, R.5101: Reichsministerium für kirchliche Angelegenheiten, Nr. 22249: Beschwerden und Strafverfahren<br />

gegen katholische Geistliche pp. im Regierungsbezirk Breslau von Juni 1940–1944, Bl. 184-190. Siehe<br />

Dokumentation Martin Scholl; Kurt Engelbert: Schlesische Pfarrer im Dritten Reich. Nach Aufzeichnungen des<br />

Kapitularvikars Bischof Dr. Piontek, in: Archiv für Schlesische Kirchengeschichte, 23, 1965, S. 228; Martin<br />

Scholl. Pfarrer in Auras, in: Wohlauer Rundbrief, Nr. 85, 1977, S. 17 f.; Leben im Kreis Wohlau, S. 381.<br />

40 Dokumentation Martin Scholl: Urteil des II. Sondergerichts, Bl. 189-189v.<br />

41 Auskunft von Johannes Jaschick vom 31.01.2005.<br />

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