Dass Strauss Einfälle seines Vaters aufgriff und wenig verändert zum erneuten Hören brachte, verwundert weniger als die Tatsache, dass er eigene veröffentlichte Melodien erneut vornahm und erweiterte. Die Erweiterung der Form ist hier als Hauptbestreben von Strauss dokumentierbar geworden, wobei die enorme Vielfalt an Möglichkeiten zur Erweiterung bewundernswert erscheint. Dies ist eine eigene, besondere Sparte der Kreativität – zugehörig der Kreativität des Melodie-Finders und Erfinders Strauss. Bislang war für Musiker/Musikologen/Musikforscher schlicht undenkbar, was Strauss mit den Melodien zum Walzer „An der schönen blauen Donau“ op. 314 – unverkennbar mit enormem Erfolg – geleistet hat: in allen 10 Melodien das vollständige Recycling längst verwendeter Walzernummern. Zum Abschluss noch ein Wort zur Frage, woher der Verfasser das Recht nähme, die Fähigkeit (auch) zur bindenden Instrumentation unserem Meister Strauss abzusprechen. Wie oben dargelegt, trauen wir dies bei der Uraufführungs-Formation (Militärmusik) am ehesten Josef Wiedemann und Johann Proksch zu, bei der reinen Instrumental-Formation für die Strauss-Kapelle dem Arrangeur Georg Kraus. Wir wollen nicht länger spekulieren, sondern Strauss selber sprechen lassen. In dem Schreiben vom 11. Februar 1870 an seinen Verleger Spina beteuert Strauss zur Partitur der Walzer „Neu-Wien“, op. 342 u. a.: …überhaupt so ungern ich´s tue hab ich mir vorgenommen die Arrangements künftig hin selbst zu übernehmen.... Meine Zeit erlaubt die Arbeit schnell zu Ende zu bringen – ja das Klavierarrangement bevor ich die Partitur zu schreiben beginne… Tatsächlich ist diese Partitur, von Strauss eigenhändig und vollständig geschrieben, erhalten geblieben (Wst MHc-398/c). So können wir Mailers Aussage bestätigen (II, Seite 142f.): Johann Strauss hatte also nunmehr sowohl Muße als auch Lust, seine Karnevalskompositionen selbst zu arrangieren bzw. in Partitur auszuschreiben. Letzteres (das Partiturschreiben, N.L.) hatte er in den vergangenen Jahren den Kopisten (z. B. Kraus, N.L.), das Arrangieren (von Klavierausgaben u. a., N.L.) aber dem Verleger Carl Haslinger und seinen Mitarbeitern, später den Mitarbeitern des Verlegers Carl Anton Spina überlassen. quod erat demonstrandum Benutzte und zitierte Literatur - Norbert Linke: Musik erobert die Welt, Wien 1987. - Franz Mailer: Johann Strauss (Sohn) – Leben und Werk in Briefen und Dokumenten, Bd. II, Tutzíng 1986. - Norbert Rubey – in: Wiener Institut für Strauss-Forschung (Hg.): SEV Heft 7, Tutzing 1997. - Allgemeine Deutsche Biographie ADB, diverse Lexika und Nachschlagewerk (Rudolf Weinwurm, Josef Weyl, Ernst Julius Otto, Konradin, Erik Neßl). - Brixel, Eugen / Martin, Gunther / Pils, Gottfried: Das ist Österrreichs Militärmusik, Graz Wien Köln 1982. - Elisabeth Anzenberger-Ramminger: Zum 175. Todestag des Militärkapellmeisters Josef Wiedemann – seine Kapelle führte den berühmten „Donauwalzer“ zum ersten Mal auf. In: Blasmusikforschung, Mitteilung des Dokumentationszentrums des Österreichischen Blasmusikverbandes – Nr. 7 – Dezember 2013. - Archiv des Wiener Männer-Gesangvereins: Musikvereinsgebäude, Bösendorfer Str. 12, A-1010 Wien I. - Wst mit MH-Nummern: Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Musiksammlung – jetzt: Wienbibliothek im Rathaus, Musiksammlung. - Norman Godel: Secrets Of A Sketchbook, Portsmouth (London) 1990. - Ernst Hilmar (Hg.): Johann Strauss (Sohn) – Sämtliche Werke in Wiedergabe der Originaldrucke, 3. Band Opera 101-200, Tutzing 1991. - dito 5. Band Opera 201-300, Tutzing 2000. - dito 7. Band Opera 301-479 und o. Op., Tutzing 2001. - Hanns Jäger-Sunstenau: Johann Strauss – Der Walzerkönig und seine Dynastie, Wien 1965. - Franz Mailer: Johann Strauss (Sohn) – Leben und Werk in Briefen und Dokumenten, Bd. VII, Tutzing 1998. 46
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