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Festbuch 120 Jahre MGV

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der Tschechoslowakei, Polen, England, Russland und Deutschland – noch etwas unsicher<br />

zuweilen, aber mit sehr viel Engagement. Der Applaus des Publikums zeigte denn auch,<br />

dass der Verein damit auf dem richtigen Weg war.<br />

Mittelfristig wollte Lucia Lewczuk die Jugendgruppe zu einem richtigen Jugendchor<br />

ausbauen. Dass dies am Ende nicht geklappt hat, lag nicht an ihr und auch nicht an den<br />

Jugendlichen, sondern an manchen Sturköpfen unter den Älteren im Verein, die mit ihrer<br />

Unduldsamkeit den Jugendlichen ihr Engagement verleideten und deren in diesem Alter<br />

ohnehin schwer aufrecht zu erhaltendes Interesse erlahmen ließen.<br />

Über zehn <strong>Jahre</strong> später startete Lucia Lewczuk einen neuen Versuch. Im Vorfeld der<br />

Vereins-Weihnachtsfeier am 15. Dezember 2002 wurden Eltern und Großeltern angesprochen,<br />

ob ihre Kinder und Enkel bei dieser Veranstaltung einen musikalischen Beitrag<br />

leisten könnten. Die Resonanz auf diese Initiative war verblüffend. Sechs Wochen lang<br />

probten die Kleinen mit großer Begeisterung und überredeten sogar noch ihre Mütter,<br />

sich zu beteiligen. Und siehe da: Von sich aus fragten die Kinder bereits kurz nach diesem<br />

Auftritt, wann wieder geprobt wird.<br />

Beim Frühlingsball zu ihrem 20. Dirigenten-Jubiläum im Mai 2003 traten die Kleinen<br />

mit ihren Müttern noch einmal auf und begeisterten mit ihrer erfrischenden Fröhlichkeit<br />

das Publikum. Eine auch nur mittelfristig bestehende Formation ließ sich daraus jedoch<br />

nicht erhalten.<br />

Damit bewahrheitete sich erneut die Erkenntnis, dass es nur unter optimalen Umständen<br />

möglich ist, Kinder bzw. Jugendliche nach Eintritt in die Pubertät in einem Chor zu<br />

halten. Auch der <strong>MGV</strong> 1896 Rheinau muss im <strong>120</strong>. Jahr seines Bestehens der bitteren Erkenntnis<br />

ins Auge sehen, dass in der individualisierten Freizeitgesellschaft des 21. Jahrhunderts,<br />

erst recht in einer Großstadt, die Chancen für die Existenz eines Kinder- oder<br />

gar Jugendchors ausgesprochen gering und Jugendliche für einen traditionellen Gesangverein<br />

nicht zu gewinnen sind.<br />

Der Gießener Musikwissenschaftler Martin Gärtner fasste die Situation und ihre Gründe<br />

treffend zusammen: „Kein Mensch braucht heute der Bildung wegen in den Verein zu gehen;<br />

wer Musik liebt, kann sich diesen Wunsch per Knopfdruck in vielfältigster Weise erfüllen;<br />

wer Unterhaltung sucht, ist nicht auf die Hilfe des Vereins angewiesen, sondern er findet ein<br />

reichhaltiges Angebot kommerzieller Veranstalter; die Mobilität, die das Auto schenkt, ermöglicht<br />

es, auch weit über den Wohnort hinaus Angebote zur Freizeitgestaltung zu nutzen;<br />

trotz ständig reduzierter Arbeitszeit ist Freizeit – im Sinne von verfügbarer Zeit – bei vielen<br />

Mangelware. Schon Kinder beklagen vielfach die Fülle von Terminen, die von Schule, Musikschule,<br />

Sportverein und Eltern bestimmt werden. In den Familien spielt Tradition keine Rolle<br />

mehr. Das Sprichwort „Wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen“ hat nicht nur<br />

für die Gesangvereine seine Bedeutung weitgehend verloren.“

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