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20171020-Der_Spiegel_Nachrichtenmagazin

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Sport<br />

Unentschieden<br />

Fußball <strong>Der</strong> FC Barcelona schweigt darüber, ob er für oder gegen<br />

die Unabhängigkeit Kataloniens ist. Von Juan Moreno<br />

Wäre der FC Barcelona ein normaler<br />

Verein, es wären für den Klub<br />

fantastische Wochen. Souveräne<br />

Tabellenführung in Spaniens Primera División.<br />

Konkurrent Real Madrid liegt fünf<br />

Punkte zurück nur auf Platz drei. Lionel<br />

Messi scheint beschlossen zu haben, dass<br />

Cristiano Ronaldo jetzt oft genug Weltfußballer<br />

war, und spielt seit Wochen wie das<br />

Genie, das er ist.<br />

In der Champions League hat Barça bisher<br />

alle Gruppenspiele gewonnen. Am<br />

Mittwoch siegte das Team mit Halbgas 3:1<br />

gegen Olympiakos Piräus, die komplette<br />

zweite Halbzeit war die Mannschaft in Unterzahl,<br />

nachdem Gerard Piqué des Feldes<br />

verwiesen worden war. Zudem ist der Verein<br />

derzeit spanischer Tabellenführer im<br />

Basketball, Handball, Rollhockey und Volleyball,<br />

die Fußballerinnen stehen ebenfalls<br />

auf Platz eins.<br />

Auch finanziell laufen die Geschäfte des<br />

FC Barcelona wie geschmiert. Die Umsatzprognose<br />

wurde kürzlich präsentiert:<br />

897 Millionen Euro für die Saison 2017/18.<br />

Kein Sportverein hat weltweit jemals höhere<br />

Zahlen genannt. Bis 2021 soll der Umsatz<br />

auf über eine Milliarde Euro pro<br />

Saison wachsen.<br />

Was also ist das Problem?<br />

<strong>Der</strong> FC Barcelona ist kein normaler<br />

Verein, und Spanien ist derzeit<br />

kein normales Land.<br />

Seit gut zwei Jahren rasen in der spanischen<br />

Innenpolitik zwei Züge aufeinander<br />

zu: die konservative Regierung in Madrid,<br />

davon überzeugt, dass Katalonien genug<br />

Autonomie besitzt und jetzt endlich Ruhe<br />

geben sollte; ihr gegenüber die katalanische<br />

Regionalregierung, die<br />

den Traum vieler Katalanen<br />

von einem eigenen Staat zum Greifen<br />

nahe wähnt.<br />

Beide Seiten bombardieren sich mit Vorwürfen<br />

und Drohungen. Beide Seiten betonen<br />

den Dialog, sind aber nicht wirklich<br />

dazu bereit. Woche für Woche ziehen Hunderttausende<br />

Katalanen durch die Straßen<br />

Barcelonas. Gegner und Befürworter der<br />

Autonomie: Die Lager sind ungefähr<br />

gleich groß. Ein Fieber hat die<br />

ganze Region erfasst. Familien<br />

brechen im Streit auseinander,<br />

Freundschaften werden beendet, Kollegen<br />

beschimpft.<br />

Es gibt derzeit nur eine Frage: Für oder<br />

gegen die Unabhängigkeit? Wo stehst du?<br />

Hat man sich einmal bekannt, hat das Konsequenzen.<br />

Für die Freundschaft, für das<br />

Gerard<br />

Deulofeu<br />

Geschäft. Das ist für alle so. Auch für den<br />

FC Barcelona.<br />

Genau darum schweigt der Klub. Es ist<br />

derzeit unmöglich, einen offiziellen Vertreter<br />

des Vereins zu einer klaren Aussage zu<br />

bewegen. Natürlich, man ist Katalane, mit<br />

ganzem Herzen, Patriot, klar, aber La Liga<br />

wegen der Unabhängigkeit zu verlassen,<br />

das wäre ja Wahnsinn, mehr noch Selbstmord,<br />

das würde alles gefährden. Man<br />

könnte es auch so ausdrücken: Patriotismus<br />

hin oder her, aber eine Milliarde Euro Umsatz<br />

sind eine Milliarde Euro Umsatz.<br />

Katalanen<br />

im Kader<br />

FC Barcelona<br />

Saison<br />

2017/18<br />

Saison<br />

2007/08<br />

Bojan<br />

Krkić<br />

Saison<br />

1997/98<br />

Óscar<br />

García<br />

Sergi<br />

Roberto<br />

Sergio<br />

Busquets<br />

Xavi<br />

Roger<br />

García<br />

Spieler mit mindestens<br />

fünf Ligaspielen<br />

Jordi<br />

Alba<br />

Albert<br />

Celades<br />

Pep<br />

Guardiola<br />

Sergi<br />

Barjuán<br />

Gerard<br />

Piqué<br />

Oleguer<br />

Carles<br />

Puyol<br />

Víctor<br />

Valdés<br />

Gerard<br />

Piqué<br />

Aleix<br />

Vidal<br />

Albert<br />

Ferrer<br />

JOSE JORDAN /AFP<br />

Seit Jahrzehnten ist der FC Barcelona<br />

der große Kulturträger der autonomen Region<br />

Katalonien. Das Aushängeschild, vergöttert<br />

in der Region, bewundert auf der<br />

Welt. Auf die Trikots lässt die Vereinsführung<br />

seit Jahren die vier Worte „mes que<br />

un club“, mehr als ein Verein, drucken. Es<br />

ist Barças Mantra, in jedem Fanshop, in<br />

jedem Klubschreiben ist es zu lesen, in jedem<br />

Präsidenteninterview wird es gepredigt.<br />

Wir sind mehr als nur Fußball.<br />

Niemand fragte bisher, was das eigentlich<br />

genau bedeutet. Es gab Vermutungen.<br />

„Die Nationalmannschaft Kataloniens“ sei<br />

der Verein, hat Jordi Pujol, der ehemalige<br />

Regierungschef der Region, gesagt. „Die<br />

unbewaffnete Armee Kataloniens“, beschrieb<br />

es der Autor Manuel Vázquez Montalbán.<br />

Es war ein Gefühl. Spaß-Patriotismus<br />

– auch wenn oft höchstens sechs<br />

Stammkräfte der Mannschaft wirkliche Katalanen<br />

waren (siehe Grafik).<br />

<strong>Der</strong> Verein konnte gut damit leben, vor<br />

allem nachdem der Präsident Joan Laporta<br />

abtrat, der als Politiker unmissverständlich<br />

für die Unabhängigkeit Kataloniens stand.<br />

<strong>Der</strong> Verein tat das, was er viele Jahre getan<br />

hatte. Er arrangierte sich, zwinkerte<br />

der Unabhängigkeitsbewegung immer wieder<br />

zu, machte es sich aber letztlich im<br />

Unkonkreten gemütlich, im Rumeiern.<br />

War nicht das Schlechteste fürs Geschäft.<br />

Alle fühlten sich mitgenommen. Katalanen,<br />

Spanier, die ganze Welt.<br />

Selbst wenn sie im Stadion Camp Nou<br />

„Unabhängigkeit, Unabhängigkeit“ brüllten,<br />

selbst wenn beim Champions-League-<br />

Spiel gegen den italienischen Meister Juventus<br />

Turin ein Riesenbanner entrollt<br />

wurde, auf dem stand: „Welcome to the<br />

Catalan Republic“, selbst als mitten in der<br />

Debatte um das Referendum vom 1. Oktober<br />

Plakate mit „SOS Democràcia“ auftauchten<br />

– vom Verein hieß es immer, man<br />

sei nicht politisch, stehe aber „auf der Seite<br />

des katalanischen Volkes“.<br />

Sollte sich die spanische Staatskrise in<br />

eine spanische Katastrophe verwandeln<br />

und Katalonien sich abspalten, dann wird<br />

der FC Barcelona sagen müssen, welche<br />

Seite des katalanischen Volkes der Verein<br />

genau meint. Zu den wenigen Gewissheiten,<br />

die es momentan über das katalanische<br />

Volk gibt, gehört, dass es zutiefst gespalten<br />

ist.<br />

<strong>Der</strong>zeit bekommt der Verein Druck von<br />

allen Seiten. <strong>Der</strong> spanische Ligaverband<br />

beispielsweise ist verärgert, dass die Debatte<br />

überhaupt hochkocht. So etwas stört<br />

102 DER SPIEGEL 43 / 2017

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