Ausland <strong>Der</strong> Entrümpler Österreich Wieder hat ein junger Mann die Macht erobert und höflich, aber skrupellos das Establishment entsorgt. Doch was ist Sebastian Kurz: ein guter Europäer oder ein Opportunist mit Gespür für den rechten Zeitgeist? Und was bedeutet sein Sieg für Deutschland? <strong>Der</strong> Mann, der gerade so elegant auf dem Zeitgeist surft wie einst Robby Naish auf den Wellen vor Hawaii, will jetzt kurz demonstrieren, wie man das macht mit dem Entrümpeln. Er steht in seinem Büro im altehrwürdigen Außen - ministerium am Wiener Minoritenplatz und deutet auf Ecken und Wände, wo früher antikes Mobiliar stand oder alte Gemälde hingen. Alles entsorgt, ausgemistet, von ihm persönlich. Schön leer jetzt, schön kühl und modern. Selbst das Holzkreuz an der Wand wirkt wie moderne Kunst. Sebastian Kurz geht hinter seinen höhenverstellbaren Schreibtisch im Industriedesign und deutet auf das Bild, das er aufhängen ließ. Eine gemalte Karte Europas, mit der kleinen künstlerischen Verfremdung, dass Finnland unten liegt, Spanien, Italien und Griechenland hingegen liegen oben. Europa steht im Büro von Sebastian Kurz auf dem Kopf. Um sicherzustellen, dass der Gast es bemerkt, weist er noch mal darauf hin. Auf dem Kopf. Vielsagender Blick. Lächeln. Er lächelt viel an diesem Mittwoch nach dem Sieg. Seine dezent gepuderten Wangen leuchten so rosig und frisch wie die des Jungen auf der Kinderschokoladen - packung. So wie er sein Büro entrümpelt hat, hat Kurz innerhalb weniger Monate auch seine Partei entrümpelt und die alte, traditionelle ÖVP in eine moderne Bewegung mit starkem Anführer verwandelt. Er hat einen scharfen Anti-Flüchtlings- Wahlkampf geführt und damit den politischen Diskurs so beeinflusst, dass am Wahltag zwei Parteien deutlich rechts der Mitte zusammen fast 60 Prozent der Stimmen erhielten: die stramm rechte FPÖ und die konservative ÖVP, die inzwischen nur noch „Liste Sebastian Kurz“ heißt. Wenn sein Plan aufgeht, wird Kurz mit 31 Jahren der jüngste Regierungschef Europas sein, nachdem er mit 27 Jahren schon jüngster Außenminister wurde. Das allein hat etwas Surreales. Aber Kurz ist dieser Superlativ nicht genug. Er scheint gewillt, nicht nur seine Partei und sein Land auf den Kopf zu stellen, sondern auch die europäische Politik. Die Nationalisten in Ungarn oder Polen freuen sich schon auf einen Verbündeten im Kampf gegen das flüchtlingsfreundliche Europa. In Deutschland blickt man mit einer Mischung aus Faszination, Sehnsucht und 80 DER SPIEGEL 43 / 2017 Kurz ist kein Extremer, sondern er ist einfach nur extrem hungrig nach Macht und Erfolg. Kopfschütteln auf Kurz und seine Bewegung. „Warum haben wir nicht so einen?“, fragte schmachtend die ewig nach politischen Erlösern fahndende „Bild“-Zeitung. Mit seiner Kombination aus jugendlichem Charme, einem politischen Stil, der Traditionen und alte Gepflogenheiten überwinden will, und einer konsequent auf Abschottung setzenden Programmatik scheint Kurz den Zeitgeist gerade besser zu bedienen als viele andere Politiker. Er hat es jedenfalls geschafft, die meisten seiner Konkurrenten als Leute von gestern erscheinen zu lassen. Sein Kurs in der Flüchtlingspolitik hat Auswirkungen weit über Österreich hinaus. Für viele in der Union, die sich spätestens seit dem Erfolg der AfD einen Rechtsruck ihrer Parteien wünschen, ist Kurz nun ein Gegenmodell zur eigenen Kanzlerin. Er verkörpert jene Eigenschaften und Positionen, die sie an ihrer Chefin vermissen. Jens Spahn, der sich auf politische Symbolik schon immer gut verstand, postete am Wahlabend ein Grinse-Selfie mit Kurz von dessen Siegesfeier in Wien. Das Signal war klar: Eine andere, konservativere Politik ist auch in Deutschland möglich, mit Jens Spahn an der Spitze, der einigen in der Union ohnehin als bevorzugter Merkel-Nachfolger gilt. Aber taugt Sebastian Kurz wirklich als leuchtendes Vorbild? Ist er tatsächlich jener konservative Wunderknabe, als der er nun vielerorts gefeiert wird? Seine Geschichte ist die eines begabten Aufsteigers, der aus einem Wiener Arbeiterbezirk nach oben drängte. Er wuchs in Meidling auf, im Westen Wiens, als einziges Kind eines Ingenieurs und einer Lehrerin. Die Familie wohnte in einem Mehrfamilienhaus. Kurz selbst spricht von einer friedlichen, glücklichen Kindheit. Seinen Aufstieg in der Politik beschreibt er als Folge einiger Zufälle und glücklicher Umstände, aber das blendet den glühenden Ehrgeiz aus, der ihn antreibt. Nein, Sebastian Kurz ist kein Nazi, auch kein Rassist. Selbst wenn Linke, Satiriker oder gar die „New York Times“ ihn nun in diese Nähe rücken. Aber das trifft es nicht. Er hat die Migration zum alles überwölbenden Wahlkampfthema gemacht, das schon, und er hat fast alle Forderungen der FPÖ übernommen. „Kurz hat uns die Themen geklaut“, klagte FPÖ-Chef Heinz- Christian Strache hinterher. Kurz hat die Themen der Rechten endgültig salonfähig gemacht – aber er hat der FPÖ damit eben auch 168000 Wähler abgejagt. Kurz, das ist das Wahrscheinlichste, ist kein Extremer, sondern einfach nur extrem hungrig nach Macht und Erfolg, ein konservativer Karrierist, der vermutlich auch ein linker Karrierist hätte werden können, wäre es dem Aufstieg dienlich gewesen. Die prägendste Ideologie, die man ihm zuschreiben kann, ist der Opportunismus. „Manchmal habe ich das Gefühl, er wollte eigentlich nur Klassensprecher werden, und dann ist das Ganze eskaliert“, hat Strache einmal über Kurz gesagt, nun wird er wohl sein Koalitionspartner und Vizeklassensprecher werden. „Fesch“ ist das Wort, das in keinem Zeitungsartikel über Kurz fehlt. Fesch heißt gut aussehend, zuvorkommend, athletisch, sportlich, lässig, mit derselben Beschreibung wurde einst auch Jörg Haider von seinen Fans bedacht, der frühere FPÖ- Chef, der vor neun Jahren bei einem Autounfall starb. Vielleicht ist Sebastian Kurz ihm auch darin nicht unähnlich, dass er ein gutes Gespür für die politische Stimmung hat. Und die ist in Österreich, stärker noch als in Deutschland, geprägt von der Angst vor Überfremdung und dem Wunsch nach einfachen Antworten auf die Probleme einer komplexen Welt. Verstörend jedoch ist die Schmerzfreiheit, mit der Kurz auf ein Bündnis mit Leuten zusteuert, die teilweise politisch nicht weit von Nazis entfernt sind oder zumindest welche waren. Für Österreich mag das nicht allzu überraschend sein, schließlich ist die FPÖ hier längst eine fast normale Partei, für Europa hingegen schon. FPÖ-Chef Strache nahm einst an Zelt - lagern der „volkstreuen Jugend“ teil, einer völkischen Nachwuchsorganisation. Er zog zusammen mit Neonazis bei Demos durch die Straßen und nahm an paramilitärischen Wehrsportübungen teil. Spricht man Kurz
Wahlsieger Kurz: Ein konservativer Karrierist CHRISTIAN BRUNA / SHUTTERSTOCK DER SPIEGEL 43 / 2017 81