20171020-Der_Spiegel_Nachrichtenmagazin
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Debatte Auf der Frankfurter Buchmesse kam es in der vorvergan -<br />
genen Woche zu Tumulten, die Polizei musste eingreifen: das Ende<br />
oder die Unterbrechung einer Tradition der diskursiven Auseinan -<br />
dersetzung? Zwei Analysen einer Situation, in der Rat losigkeit<br />
und Zorn herrschen – und Uneinigkeit darüber, wie man mit rechts -<br />
extremen Positionen und Personen umgehen soll.<br />
<strong>Der</strong> kommende Kulturkampf<br />
Die radikale Rechte weiß, mit welchen Gegnern sie es zu tun hat.<br />
Von Tobias Rapp<br />
Wenn am Dienstag der Bundestag zu seiner konstituierenden<br />
Sitzung zusammentritt, wird der<br />
Altliberale Hermann Otto Solms, 76, ihn mit einer<br />
Rede eröffnen. Bislang kam diese Ehre immer dem ältesten<br />
Abgeordneten zu. Doch der älteste Volksvertreter<br />
ist nun Wilhelm von Gottberg, 77, ein AfD-Rechtsaußen<br />
aus Niedersachsen. Um ihn als Alterspräsidenten zu verhindern,<br />
änderte der Bundestag im Juni flugs seine Geschäftsordnung:<br />
<strong>Der</strong> dienstälteste Abgeordnete soll es nun<br />
machen. Das wäre Wolfgang Schäuble, 75, der wird aber<br />
voraussichtlich Bundestagspräsident, also gab er die Eröffnung<br />
an Solms ab.<br />
Das ist nur der Anfang. In den kommenden Wochen<br />
gibt es eine Menge Posten zu besetzen und eine Menge<br />
Büros neu zu verteilen. Immer wird eine Frage im Raum<br />
stehen, auf die es keine einfache Antwort gibt: Wie gehen<br />
wir mit den Rechten um? Ausgrenzen?<br />
Normal behandeln? Nach den<br />
Regeln spielen oder die Regeln ändern?<br />
Was tun, wenn jemand im<br />
Plenum provoziert, was ganz bestimmt<br />
passieren wird? Protestieren,<br />
argumentieren, ignorieren?<br />
Nicht nur im Bundestag macht man<br />
sich darüber Gedanken. Landtagsabgeordnete<br />
und Bezirkspolitiker<br />
stehen vor ähnlichen Situationen.<br />
Manche seit Jahren.<br />
Die Rechte ist vorbereitet. „Die<br />
Aufstellung ist nun komplett“, sagte<br />
der rechte Verleger und Aktivist<br />
Götz Kubitschek am Wahlabend<br />
dem SPIEGEL. Wenn Politik ein<br />
Spiel wäre, dann säße die AfD auf der einen Seite des<br />
Bretts – und alle anderen wären auf der anderen Seite.<br />
Diese Worte sollte man ernst nehmen. Kubitscheks Ansage<br />
lautet: Wir haben jetzt eine Partei, die überall vertreten<br />
ist. Wir sind in der Lage, Begriffe zu prägen, weil wir die<br />
Medien zu nutzen wissen. Wir haben eine gewisse Macht<br />
auf der Straße. Und wir haben Rückzugsräume, in denen<br />
wir kulturelle Hegemonie beanspruchen können. Wir wissen,<br />
wer wir sind. Und damit arbeiten wir jetzt.<br />
Kubitschek fügte auch hinzu, worum es für die radikale<br />
Rechte in den kommenden Jahren gehen werde: den<br />
Kampf gegen die Westbindung. Den Kampf gegen die<br />
neoliberale Wirtschaftsordnung. Den Kampf gegen das<br />
„linksliberale Gesellschaftsexperiment“. Und gegen eine<br />
Bildungspolitik, die zu viele Menschen an die Universitäten<br />
bringe. Das ist die Ankündigung eines Kulturkampfs.<br />
Bei den Veranstaltungen von Kubitscheks Verlag auf der<br />
Frankfurter Buchmesse gab es am vergangenen Wochenende<br />
Tumulte. Offenbar ist die liberale Öffentlichkeit<br />
schlecht auf diese Auseinandersetzung vorbereitet.<br />
Paradoxerweise nicht zuletzt aus historischen Gründen.<br />
Lange hielt die Mehrheit der Deutschen radikale Rechte<br />
Veranstaltung in Frankfurt 2017<br />
Aufstellung komplett<br />
für Ewiggestrige, die zurück in die NS-Zeit wollen. Solche<br />
Leute gibt es selbstverständlich immer noch. Mit dem Verweis<br />
auf die deutsche Vergangenheit bekommt man aber<br />
weder eine Partei wie die AfD zu fassen noch die rechten<br />
Hipster von der Identitären Bewegung. Im Gegenteil, auf<br />
der Seite der Rechten hat man mit dem Nazivorwurf leben<br />
gelernt und ein geschicktes Spiel daraus gemacht, sich<br />
zum Opfer von Missverständnissen zu erklären. Dass in<br />
den Neunzigern Skinheads das Bild der Rechten dominierten,<br />
tut ein Übriges: Viele Deutsche glauben, Rechtsradikalismus<br />
sei im Wesentlichen ein Bildungsproblem.<br />
Dass es überhaupt rechtsradikale Intellektuelle gibt,<br />
scheint ihnen ein Widerspruch in sich.<br />
Die radikale Rechte dagegen weiß ziemlich gut, mit<br />
wem sie es in Deutschland zu tun hat. Mit einer liberalen<br />
Mehrheitsgesellschaft, die verlernt hat, über ihre Grundlagen<br />
nachzudenken. Mit Menschen,<br />
welche die Welt, in der sie<br />
leben, für selbstverständlich halten.<br />
Doch so ist es nicht. Die Gleichstellung<br />
der Geschlechter, die Öffnung<br />
des Staatsangehörigkeitsrechts, die<br />
Homo-Ehe – all das ist erkämpft<br />
worden. Wir laufen auf festem<br />
Grund. Doch nur, weil er im Streit<br />
einmal festgestampft worden ist.<br />
Nichts garantiert, dass das so bleibt.<br />
Und die Rechte kann weit in die<br />
FRANK RUMPENHORST / DPA<br />
Gesellschaft hineinfunken: Auch<br />
viele Linke haben Probleme mit<br />
den USA und sehen den Kapitalismus<br />
kritisch. Vielen Konservativen<br />
geht die Toleranz für andere Lebensentwürfe<br />
immer wieder zu weit. In allen politischen<br />
Lagern gibt es ein Unbehagen mit dem schnellen gesellschaftlichen<br />
Wandel. Daran knüpft die Rechte an.<br />
Im Wahlkampf hat sie Themen gesetzt, und sie wird es<br />
weiter tun. Wer glaubt, er könnte dieser Auseinandersetzung<br />
entgehen, hat sie schon verloren. <strong>Der</strong> Rechten ist<br />
auch nicht mit moralischer Selbstüberhöhung und „Nazis<br />
raus“-Rufen beizukommen. Mit Rechten reden? Die Kunst<br />
wird darin bestehen, ihre Provokationen ins Leere laufen<br />
zu lassen, sie nicht zu den Opfern zu machen, als die sie<br />
sich oft und gern stilisieren – und sie inhaltlich zu stellen.<br />
Das wird nicht klappen, ohne sich mit ihren Positionen<br />
und ihrem Denken zu beschäftigen. Aber niemand wird<br />
dieser Diskussion ausweichen können. Sie läuft schon, ob<br />
die liberale Öffentlichkeit das will oder nicht.<br />
Die radikale Rechte hat einen umfassenden Angriff auf<br />
die liberalen Errungenschaften der Bundesrepublik<br />
Deutschland begonnen. Er wird dauern. Die Rechten wissen<br />
das. Sie haben Zeit. Jahrzehntelang haben sie hilflos<br />
dem Marsch der Linksliberalen durch die Institutionen<br />
des Landes zugeschaut. Sie werden alles aufbieten, was<br />
sie haben, um diese Errungenschaften zurückzudrehen.<br />
128 DER SPIEGEL 43 / 2017