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Das deutsche Nachrichten-Magazin<br />

Leitartikel<br />

Men, too<br />

Männer müssen endlich ihre Stimme gegen sexuelle Belästigung von Frauen erheben.<br />

Wenn mächtige Kotzbrocken wie Harvey Weinstein<br />

öffentlich als Vergewaltiger bezichtigt werden,<br />

macht das die Welt sicherlich ein bisschen<br />

besser. Wie wunderbar, dass nicht nur Hollywoodstars<br />

Sexismus anprangern, sondern seit dieser Woche auch<br />

Frauen, denen glänzendes Scheinwerferlicht egal ist. Mit<br />

#MeToo haben sich betroffene Frauen quer durch alle<br />

Länder und Schichten in den sozialen Netzwerken als Opfer<br />

sexualisierter Gewalt geoutet.<br />

Ihr Aufschrei wird aber erst die volle Wirkung entfalten,<br />

wenn sich auch Männer angesprochen fühlen. Und<br />

zwar jene Mehrheit der Männer, die Frauen nicht belästigen.<br />

Wer zur Gruppe der Anständigen gehört, denkt<br />

häufig, das alles gehe ihn nichts an. Weiße Westen sind<br />

aber keine Entschuldigung<br />

für Wegsehen.<br />

Die Täter könnten nur deshalb<br />

so ungestraft agieren,<br />

„weil sie von einer schweigenden<br />

Masse gedeckt“ würden,<br />

schreibt der Unternehmensberater<br />

Robert Franken in<br />

seinem Blog. Es ist leider<br />

eine Einzelmeinung. Anstatt<br />

sich zu empören, verharm -<br />

losen viele Männer sexuelle<br />

Belästigung mit Sätzen wie:<br />

„Jetzt ist es schon so weit,<br />

dass ich die Frisur der Kollegin<br />

nicht mehr loben darf.“<br />

Niemand will in einer Welt<br />

leben, in der sich Menschen<br />

keine Komplimente mehr<br />

machen dürfen. Auch Frauen<br />

nicht. Darauf können wir uns<br />

alle schnell einigen. Aber damit<br />

ist die Diskussion über<br />

Sexismus nicht zu Ende.<br />

Es kann wirklich schwierig sein, die Grenze zwischen<br />

nett gemeinter Geste und sexistischem Spruch zu erkennen.<br />

Zumal sie individuell und darum bei jeder Frau<br />

anders verläuft. Es ist ein Unterschied, ob man einer<br />

Kollegin in der Kaffeeküche oder im Morgenmeeting<br />

zum Kauf der neuen Schuhe gratuliert.<br />

Neben dem Ort entscheidet auch die Augenhöhe, ob<br />

ein Kompliment angebracht ist. Keine Praktikantin möchte<br />

vom Abteilungsleiter als „charmante neue Mitarbeiterin“<br />

begrüßt werden, weil auch Frauen von Vorgesetzten<br />

lieber für ihre Leistung gelobt werden. Trainerinnen,<br />

die Bosse für Machtmissbrauch sensibilisieren, gibt es<br />

kaum. Stattdessen wird Frauen beigebracht, wie sie<br />

sich per „Arroganz-Prinzip“ in einen Macho ver wandeln,<br />

wenn sie auf der Führungsebene mitreden möchten.<br />

Sprechen Frauen Sexismus offen an, fühlen sich Männer<br />

oft in der Defensive. Das scheint bei vielen reflexhaft<br />

eine Verbrüderung auszulösen. Das Erobern liege nun<br />

mal in der Natur des Mannes. Echte Kerle benähmen sich<br />

manchmal daneben.<br />

Und sind Frauen nicht selbst schuld? Hinter vorgehaltener<br />

Hand heißt es dann, Frauen würden Sexismus nur<br />

beklagen, wenn er ihnen nicht nutze. Praktikantinnen,<br />

die jede Woche vom Chef einen Kaffee spendiert bekämen,<br />

würden schließlich auch nicht mit einer Ohrfeige<br />

ablehnen.<br />

Ja, es gibt Frauen, die Netzstrumpfhosen einsetzen,<br />

um Aufträge an Land zu ziehen, und das ist bedauerlich.<br />

Aber es gibt auch immer noch zu viele männliche<br />

Führungskräfte, die Jobs nach Attraktivität statt nach<br />

Kompetenz vergeben. Viele Männer entwickeln erst ein<br />

Bewusstsein für Sexismus,<br />

wenn sie selbst zum Opfer<br />

werden. Erst dann können sie<br />

verstehen, wie sich Scham<br />

und Hilflosigkeit anfühlen.<br />

Oder es ist die Geburt einer<br />

Tochter, die Männer zu Feministen<br />

werden lässt. Wenn es<br />

die eigene Tochter betrifft,<br />

nehmen sie das Verhalten<br />

LOUISE MACKINTOSH<br />

ihrer Geschlechtsgenossen<br />

plötzlich als potenziell bedrohlich<br />

wahr und fragen sich,<br />

was man gegen sexuelle Übergriffe<br />

tun kann.<br />

Es stimmt nicht, dass sexuelle<br />

Belästigung Männer, die<br />

sich selbst nichts vorzuwerfen<br />

haben, nichts angeht. Wer<br />

schweigt, schützt die Täter<br />

und stützt ein System, das<br />

Frauen klein halten will. Es<br />

mag Überwindung kosten<br />

und ungewohnt sein: Aber<br />

warum ist es so schwer, den Kollegen, von dem alle<br />

wissen, dass er immer wieder Praktikantinnen belästigt,<br />

darauf kritisch anzusprechen? Es wäre jedenfalls wirkungsvoller,<br />

wenn Männer Männern Grenzen setzen würden,<br />

bevor eine Frau zum Aufschrei ansetzt. Und natürlich<br />

müssen sich die Machtstrukturen ändern: Wer zum Beispiel<br />

dafür sorgt, dass in Unternehmen genauso viele<br />

Frauen wie Männer das Sagen haben, schafft eine Atmosphäre<br />

der Gleichberechtigung, in der Machtmissbrauch<br />

seltener ist.<br />

Man muss seinen Nebensitzer im Büro nicht gleich beim<br />

Chef denunzieren, wenn er gehässige Witzchen über die<br />

Körperfülle einer Kollegin macht. Aber muss man mit -<br />

lachen? Es reicht nicht aus, wenn Frauen Sexismus offen<br />

ansprechen. Die Männer müssen mitreden. Den Leitartikel<br />

zur nächsten Aufschrei-Debatte darf dann gern ein Kollege<br />

schreiben.<br />

Anna Clauß<br />

8 DER SPIEGEL 43 / 2017

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