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20171020-Der_Spiegel_Nachrichtenmagazin

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Ausland<br />

„Es gibt überall<br />

Betrüger“<br />

Malta Die Investigativjournalistin<br />

Daphne Caruana Galizia<br />

ent hüllte Steuerflucht, Geld -<br />

wäsche und Korruption.<br />

Wurde sie deshalb ermordet?<br />

Daphne Caruana Galizia machte sich<br />

keine Illusionen. Über 20 Jahre lang<br />

hatte sie die Mächtigen auf Malta<br />

mit ihren Enthüllungen geärgert. Doch es<br />

änderte sich: nichts. „Unsere Polizei hat keinen<br />

Willen, irgendwas zu unternehmen“,<br />

sagte sie Anfang Mai. Die Justiz sei ein Instrument<br />

der Regierenden, sie verhindere<br />

Ermittlungen. Und trotzdem machte die<br />

53-Jährige weiter, Bloggerin, Missionarin<br />

und Aufklärerin in einem, um die dunklen<br />

Seiten der Sonneninsel aufzudecken.<br />

Denn Caruana Galizia war der Überzeugung,<br />

dass ihr Land der Mafia und korrupten<br />

Politikern in die Hände gefallen sei,<br />

und sie sah es als ihre Aufgabe an, das zu<br />

ändern. Das wurde ihr zum Verhängnis.<br />

Am Montag riss eine Autobombe sie in<br />

den Tod; ein professionelles Attentat, offenbar<br />

mit Plastiksprengstoff verübt. Eine<br />

halbe Stunde vorher hatte sie ihren letzten<br />

Blogeintrag verfasst: „Es gibt überall Betrüger.<br />

Die Situation ist verzweifelt.“ Zwei<br />

Wochen zuvor hatte sie sich an die Polizei<br />

gewandt, weil sie sich bedroht fühlte.<br />

„Meine Mutter wurde ermordet, weil sie<br />

zwischen der Herrschaft des Rechts und<br />

denen stand, die die Gesetze vergewaltigen“,<br />

schrieb ihr Sohn Matthew auf Facebook.<br />

Die Institutionen des Staates funktionierten<br />

nicht mehr, Maltas Regierung<br />

dulde „eine Kultur der Straflosigkeit“.<br />

Staat und organisierte Kriminalität seien<br />

kaum zu trennen. Auch der Oppositionsführer<br />

sprach von einem „politischen<br />

Mord“ und davon, dass auf der Insel „die<br />

Gesetze des Dschungels“ herrschten.<br />

Es scheint, als habe die Journalistin erst<br />

sterben müssen, damit die Welt genauer<br />

hinschaut auf diese Urlaubsinsel zwischen<br />

Europa und Afrika, aber eben auch: Steuer -<br />

oase, Geldwaschanlage, Zentrum des Waffen-,<br />

Drogen- und Ölschmuggels von und<br />

nach Libyen. Ein Treffpunkt zwielichter<br />

Geschäftemacher und Gaddafi-Leute, von<br />

Mafiosi und Russen, die sich eine maltesische<br />

Staatsbürgerschaft gekauft haben.<br />

Es waren diese Machenschaften, über<br />

die Caruana Galizia schrieb. Erst als Journalistin<br />

und Mitherausgeberin des „Malta<br />

Independent“, später in ihrem Blog Running<br />

Commentary. Ihre Artikel waren<br />

scharf, manchmal sogar aggressiv, auch vor<br />

persönlichen Angriffen schreckte sie nicht<br />

zurück, nicht immer konnte sie Belege präsentieren.<br />

Aber Caruana Galizia hatte oft<br />

recht. Für viele Malteser wurde sie zur Heldin,<br />

ihre Enthüllungen waren Inselgespräch.<br />

Ihr Lieblingsgegner war die Regierung,<br />

insbesondere Premierminister Joseph Muscat.<br />

Zwei Monate bevor ein internationales<br />

Journalistenkonsortium den Skandal namens<br />

Panama Papers aufdeckte, beschuldigte<br />

die Journalistin den damaligen Energieminister<br />

sowie den Kabinettschef des<br />

Trauerkundgebung für Caruana Galizia am Dienstag: „Gesetze des Dschungels“<br />

DARRIN ZAMMIT LUPI / REUTERS<br />

Ministerpräsidenten, sie hätten 2013 Briefkastenfirmen<br />

in Panama eröffnet. Die Journalistin<br />

vermutete, dass darüber Bestechungsgelder<br />

aus Aserbaidschan flossen,<br />

möglicherweise im Zusammenhang mit<br />

einem Vertrag über Gaslieferungen von<br />

Baku nach Malta.<br />

<strong>Der</strong> Energieminister musste zurücktreten,<br />

bestritt aber die Korruptionsvorwürfe;<br />

der Kabinettschef, der engste Mitarbeiter<br />

von Muscat, blieb im Amt. Dabei droht<br />

ihm in einem anderen Fall sogar ein Strafverfahren:<br />

Ein Ermittlungsrichter sah den<br />

Verdacht bestätigt, der Kabinettschef habe<br />

von drei Russen, die Staatsbürger Maltas<br />

werden wollten, fast 167000 Euro erhalten.<br />

Im Frühjahr enthüllte Caruana Galizia<br />

einen weiteren Skandal: Michelle Muscat,<br />

die Frau des Ministerpräsidenten, besitze<br />

eine Briefkastenfirma in Panama, auf deren<br />

Konto Anfang 2016 mehr als eine Million<br />

Euro überwiesen wurden – und zwar<br />

von einer Firma der Tochter des aserbaidschanischen<br />

Präsidenten Ilcham Alijew.<br />

Anfang Mai präsentierte Caruana Galizia<br />

bei einem Treffen mit dem SPIEGEL<br />

ihre Kronzeugin: eine blonde Russin, die<br />

sich „Maria“ nannte, Ex-Mitarbeiterin der<br />

maltesischen Pilatus-Bank. Einer Bank, die<br />

Caruana Galizia als „reine Geldwäscheveranstaltung“<br />

bezeichnete. Mehrere Mitglieder<br />

der Alijew-Familie sollen, so die<br />

Russin, zu ihren wichtigsten Kunden gehört<br />

haben. Sie behauptete, die Überweisungen<br />

auf die Konten von Muscats<br />

Panama-Firma gesehen zu haben. Diese<br />

Anschuldigungen wiederholte sie mehrmals<br />

unter Eid vor einem Ermittlungsrichter,<br />

die Bank widersprach. Im Sommer jedoch<br />

verließ die Russin Malta, sie fühlte<br />

sich bedroht und unter Druck gesetzt.<br />

Auch ein diese Woche vorgelegter Abschlussbericht<br />

des Panama-Untersuchungsausschusses<br />

im EU-Parlament scheint Caruana<br />

Galizias Verdächtigungen eher zu<br />

bestätigen. Dort wird Malta als eines der<br />

Länder genannt, dessen Banken und Kanzleien<br />

massenhaft Briefkastenfirmen in<br />

Panama eingerichtet haben, zum Schaden<br />

anderer EU-Mitglieder, denen hohe Steuersummen<br />

entgangen sein dürften. Zudem<br />

ist auf Malta eine riesige Online-Wett -<br />

industrie entstanden, die ideale Möglichkeiten<br />

zur Geldwäsche bietet.<br />

Ministerpräsident Muscat hat stets alle<br />

Vorwürfe gegen ihn zurückgewiesen. Trotz<br />

der Enthüllungen wurde er im Juni wiedergewählt.<br />

Um dem Verdacht der Vertuschung<br />

aus dem Weg zu gehen, hat er nun<br />

das amerikanische FBI um Amtshilfe bei<br />

der Aufklärung des Mordes gebeten.<br />

Zwar wurde vor Kurzem eine Euro -<br />

päische Staatsanwaltschaft gegründet, die<br />

bei Schäden zulasten der EU ermitteln<br />

soll. Doch bisher beteiligen sich daran<br />

nur 20 Mitgliedstaaten. Malta ist nicht<br />

darunter.<br />

Christoph Pauly<br />

96 DER SPIEGEL 43 / 2017

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