20171020-Der_Spiegel_Nachrichtenmagazin
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Ausland<br />
CHRISTIAN WERNER / DER SPIEGEL<br />
Straßenszene in Mogadischu: Es gibt kein Somalia mehr, nichts, was einen Staat ausmacht<br />
dort, wo al-Schabab herrscht. Es sind daher<br />
lokale NGOs, die die Hilfsgüter an die Bevölkerung<br />
verteilen. „Und genau da“, so<br />
der Abgeordnete, „verschwindet das Geld.“<br />
Eine dumpfe Detonation unterbricht seine<br />
Worte. <strong>Der</strong> Abgeordnete schaut kurz<br />
auf. Eine Bombe sei an den Wagen eines<br />
Hochzeitskonvois geheftet worden, heißt<br />
es später. Angeblich habe die Frau eine<br />
Affäre gehabt. <strong>Der</strong> Bräutigam habe al-<br />
Schabab einen Mordauftrag erteilt.<br />
„Manch ehemaliger Warlord“, fährt der<br />
Abgeordnete fort, „ist einfach irgendwann<br />
zu einem religiösen Führer geworden.<br />
Hauptsächlich, weil das die Jugend besser<br />
mobilisiert.“ Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung<br />
seien unter dreißig, viele nie<br />
zur Schule gegangen. „Die wollen Teil von<br />
etwas sein, und das kann ihnen al-Schabab<br />
bieten, im Gegensatz zur Regierung.“<br />
Er zahlt und geht zu seinem Land Cruiser,<br />
Funkgeräte rauschen, ein Toyota-Pickup<br />
fährt vorneweg, auf der Ladefläche fünf<br />
bewaffnete Aufpasser. Als sie die Einfahrt<br />
passieren, geben sie Gas und schießen die<br />
Straße hinunter. Langsam fahren kann in<br />
Mogadischu tödlich sein.<br />
Die Verkehrsregeln sind einfach in dieser<br />
Stadt: Wer die größere Eskorte besitzt,<br />
hat immer Vorfahrt. Stau ist gefährlich, im<br />
Stau ist man ein einfaches Ziel. Und die<br />
Stadt ist nervös in diesen Tagen, die Frequenz<br />
der Anschläge nimmt zu. Al-Schabab,<br />
so scheint es, startet eine neue Offensive<br />
der Angst. An den Checkpoints schießen<br />
die Soldaten auf jeden, der nicht ihren<br />
Anweisungen folgt. Sie zerren Tuk-Tuk-<br />
Fahrer von ihrem Dreirad, prügeln mit ihren<br />
Gewehrkolben auf sie ein.<br />
Keine sechs Kilometer entfernt vom<br />
Country Club, im Garten des City Palace<br />
Hotel, wartet ein Mann, der erklären kann,<br />
wie das Unternehmen al-Schabab funktioniert.<br />
Ein Mann, der in den vergangenen<br />
sieben Jahren 35 Männer und Frauen mit<br />
der Machete geköpft und vermutlich noch<br />
mehr erschossen hat. Er sitzt an einem blauen<br />
Plastiktisch und trinkt Cappuccino, das<br />
Abendlicht ist weich, die Kellner tragen<br />
weiße Hemden und schwarze Hosen.<br />
Bis vor einem Jahr war der 55-Jährige<br />
Kommandeur von al-Schabab für den Südwesten<br />
Somalias, ein Emir. Er bittet darum,<br />
seinen Namen nicht zu nennen. Im vergangenen<br />
Oktober, nachdem er zwei Anschläge<br />
eines konkurrierenden Flügels innerhalb<br />
von al-Schabab überlebt hatte,<br />
machte er einen Deal mit der Regierung:<br />
Freiheit gegen Informationen. Seither ist<br />
er in Mogadischu.<br />
Sein Gesicht ist zerschunden, die Augen<br />
hinter der Sonnenbrille sind rot unterlaufen,<br />
die Fingernägel abgekaut. Auf seinem<br />
Kopf sitzt eine weiße Häkelmütze. Wenn<br />
der Kellner vorbeigeht, verstummt er.<br />
Seine Geschichte erzählt er so: Früher<br />
sei er Bauer gewesen und Vorsteher eines<br />
Dorfs in der Region Lower Shebelle, er<br />
besaß Pflanzungen am Fluss und verkaufte<br />
seine Früchte bis nach Mogadischu. Dann,<br />
2006, kam die Dürre, und die Melonen gingen<br />
ein, die Bananen, die Mangos, die Bohnen.<br />
Eines Tages standen die Männer von<br />
al-Schabab vor seiner Tür. Komm zu uns,<br />
sagten sie, wir bezahlen dich gut. Er zögerte.<br />
Komm zu uns, wir bezahlen dich<br />
gut. Oder wir erschießen dich.<br />
Sie machten ihn zum Finanzchef der<br />
Region, und er merkte bald, dass es weniger<br />
um Gott ging als ums Geld. „Al-Schabab<br />
ist ein riesiges Unternehmen“, sagt der<br />
Emir. Sie trieben Steuern ein, erpressten<br />
Unternehmer und Politiker in Mogadischu.<br />
Die meisten Politiker und alle Unternehmen<br />
zahlten Schutzgeld. Schon der Telekommunikationsriese<br />
Hormuud zahle pro<br />
Filiale 1000 Dollar am Tag, behauptet er,<br />
allein in Mogadischu gebe es 17 Filialen.<br />
„Sie verbreiten Angst, weil Angst die<br />
Basis ihres Geschäftsmodells ist.“<br />
Um den Umsatz von Hotels und Restaurants<br />
zu kalkulieren, schicke al-Schabab<br />
Spione dorthin. Sie kassierten mal ein paar<br />
Hundert Dollar im Monat, mal bis zu<br />
50 000 Dollar für große Hotels. Wer nicht<br />
zahle, werde entführt, dann könne er sich<br />
entscheiden: zahlen oder enthauptet werden.<br />
Spätestens da hätten fast alle gezahlt.<br />
„Al-Schabab verdient im ganzen Land“,<br />
sagt der Emir. „Sie nehmen Wegzölle auf<br />
Straßen, die sie kontrollieren. Manche<br />
Routen bringen mehr als 50 000 Dollar am<br />
Tag ein.“ Zudem haben sie laut Uno den<br />
millionenschweren Schmuggel von Holzkohle<br />
und Zucker im Süden des Landes in<br />
DER SPIEGEL 43 / 2017<br />
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