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20171020-Der_Spiegel_Nachrichtenmagazin

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Neues Deutschland<br />

Union Angela Merkel und das Ende des Parteiensystems, wie wir es kennen.<br />

Von René Pfister<br />

Kanzlerin Merkel: Für die Mülltrennung, gegen Atomkraft<br />

LIAN MATZKE / AFP<br />

Anfang September verschickte der<br />

Bayerische Rundfunk einen kurzen<br />

Zusammenschnitt aus Talkrunden<br />

der Siebziger- und Achtzigerjahre. <strong>Der</strong> nur<br />

zweiminütige Film verbreitete sich rasend<br />

schnell im Netz, was nicht nur am wütenden<br />

Manager der Band Ton Steine Scherben<br />

lag, der den Tisch der WDR-Show<br />

„Ende offen“ mit einem Beil traktierte.<br />

Sondern vor allem an Helmut Kohl und<br />

Willy Brandt, die sich in einer TV-Runde<br />

mit rotem Kopf anschrien. <strong>Der</strong> Reiz des<br />

Videos liegt darin, dass es nah wirkt und<br />

gleichzeitig so unglaublich fern. Jedem<br />

sind noch die Gesichter von Kohl und<br />

Brandt präsent, und doch ist es in der Ära<br />

42 DER SPIEGEL 43/ 2017<br />

Merkel unvorstellbar geworden, dass sich<br />

zwei Spitzenpolitiker im Fernsehen aufführen<br />

wie Zecher vor einer Wirtshausschlägerei.<br />

Angela Merkel hat in ihrer zwölfjährigen<br />

Amtszeit das Land auf vielerlei Art<br />

und Weise verändert, sie hat unter anderem<br />

dafür gesorgt, dass das rohe und unverstellte<br />

Gefühl aus der Politik verschwand.<br />

Merkel hat es schon immer verstanden,<br />

ihre Emotionen zu zügeln. Wenn<br />

es überhaupt je einen Ausbruch gab, dann<br />

im Frühjahr 1995, als ihr in einer Kabinettssitzung<br />

die Tränen kamen, weil Helmut<br />

Kohl sie mit ihrer Smogverordnung abtropfen<br />

ließ. Merkel machte danach nie wieder<br />

den Fehler, sich eine solche Blöße zu geben.<br />

Sie weinte nicht, sie brüllte nicht, sie<br />

ließ sich nicht einmal provozieren. Als sie<br />

im September 2005 die Bundestagswahl<br />

gewann und Gerhard Schröder in der Elefantenrunde<br />

tobte, wirkte der schon merkwürdig<br />

aus der Zeit gefallen.<br />

Man kann die Ära Merkel auch als Geschichte<br />

der Pazifizierung lesen, nie zuvor<br />

ging es in der deutschen Politik gesitteter<br />

zu. Selbst die Opposition begegnete Merkel<br />

mit einem Respekt, der manchmal an<br />

Bewunderung grenzte; wenn es um die<br />

großen Themen ging, den Euro oder die<br />

Flüchtlinge, gab es im Bundestag ein großes<br />

Einvernehmen, es wurde debattiert,

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