20171020-Der_Spiegel_Nachrichtenmagazin
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FPÖ-Chef Strache: „Menschlich nähergekommen“<br />
Anders als Orbán und Kaczyński ist der<br />
Österreicher jedoch von der Notwendigkeit<br />
der EU überzeugt. Wo es dem eher kleinen<br />
Österreich nutzt, etwa bei der Außen- und<br />
Sicherheitspolitik, plädiert Kurz sogar für<br />
eine Vertiefung der Zusammenarbeit.<br />
Die Vision seines Rollenvorbilds Macron<br />
von einem solidarischeren Europa teilt<br />
Kurz hingegen nicht. Dass die EU-Mitgliedstaaten<br />
künftig finanziell stärker füreinander<br />
einstehen und ihre Sozialstandards angleichen<br />
sollen, hält er für falsch.<br />
In Brüssel schauen sie nun mit Sorge<br />
auf die Entwicklung in Österreich. Als<br />
Wolfgang Schüssel im Jahre 2000 eine Koalition<br />
mit Haiders FPÖ bildete, reduzierten<br />
die EU-Staaten ihre Beziehungen zu<br />
Wien zunächst auf ein Mindestmaß. Dazu<br />
wird es diesmal nicht kommen, dafür gibt<br />
es inzwischen zu viele rechtskonservative<br />
Regierungen in Europa. In seinem Gratulationsschreiben<br />
mahnte Kommissionschef<br />
Juncker jedoch gleich eine europafreundliche<br />
Politik der neuen Regierung an.<br />
Österreich wird in der zweiten Jahreshälfte<br />
2018 die EU-Ratspräsidentschaft<br />
übernehmen, ausgerechnet dann sind wichtige<br />
Entscheidungen zu erwarten: der Abschluss<br />
der Verhandlungen über den Brexit<br />
sowie über den künftigen siebenjährigen<br />
Finanzrahmen für die Gemeinschaft. Das<br />
Letzte, was Europa da brauchen kann,<br />
ist eine österreichische Regierung, in der<br />
Europafeinde den Kurs mitbestimmen.<br />
„Österreich wird ein europafreundliches<br />
Land bleiben“, beteuert Kurz am Donnerstag<br />
in Brüssel gegenüber allen Gesprächspartnern.<br />
Ihn ärgert, dass ausländische<br />
Zeitungen über einen Rechtsruck in Österreich<br />
schreiben. Immerhin habe er mit seinem<br />
Wahlsieg den Durchmarsch der FPÖ<br />
doch verhindert.<br />
Es ist schwer zu sagen, was ein weniger<br />
auf das Thema Migration konzentrierter<br />
Wahlkampf bewirkt hätte. Fakt ist jedenfalls,<br />
dass die FPÖ in den Umfragen anfangs<br />
weit vor den Konservativen lag. Und<br />
das Beispiel der Schüssel-Haider-Regierung<br />
zeigt, dass die Rechten ihre Anziehungskraft<br />
verlieren, sobald sie mitregieren.<br />
Nach nicht mal drei Jahren Schwarz-Blau<br />
stürzte die FPÖ damals bei der Wahl ab.<br />
Solche Argumente werden in diesen Tagen<br />
auch von vielen Mitgliedern der Union<br />
vorgetragen, um Angela Merkel unter<br />
Druck zu setzen. Die Kanzlerin weiß, dass<br />
ihr mit Kurz ein Konkurrent erwachsen<br />
ist, nicht nur in Brüssel, sondern auch im<br />
Streit über den richtigen Kurs ihrer eigenen<br />
Partei. Sie hat mitbekommen, dass<br />
sich viele Unzufriedene in CDU und CSU<br />
plötzlich auf Kurz berufen, wenn sie die<br />
Programmatik der Union kritisieren.<br />
Als Merkel in der Vorstandssitzung der<br />
CDU am vergangenen Montag auf Kurz’<br />
Wahlsieg zu sprechen kam, schaffte sie es,<br />
ihren Gegner in der Flüchtlingskrise gleichzeitig<br />
zu loben und kleinzureden. Es sei ja<br />
sehr schön, dass die ÖVP nun stärkste<br />
Kraft in Österreich sei. Aber leider habe<br />
auch die FPÖ stark zugelegt. Und: Ein Ergebnis<br />
von nur 31 Prozent so zu feiern,<br />
das sei doch auch etwas seltsam, sinnierte<br />
die Kanzlerin. Sie wolle das Ergebnis der<br />
Union von knapp 33 Prozent keinesfalls<br />
schönreden. Aber verglichen damit habe<br />
Kurz jedenfalls keinen historischen Sieg<br />
eingefahren.<br />
HANS KLAUS TECHT / DPA<br />
Merkel weiß, dass Kurz gute Kontakte<br />
nach Deutschland hat, zu Regierungsmitgliedern<br />
wie Ursula von der Leyen etwa.<br />
Die Kanzlerin dürfte auch nicht vergessen<br />
haben, dass Kurz vor allem 2016 keine Gelegenheit<br />
ausließ, die Bundesregierung in<br />
deutschen Talkshows und TV-Interviews<br />
zu tadeln. „Ich werde mich sicher nicht in<br />
die deutsche Debatte einmischen“, begann<br />
er gern seine Ausführungen. Um dann mit<br />
Blick auf die Kanzlerin nachzuschieben:<br />
„Es geht auch darum, die Wahrheit auszusprechen.“<br />
Oder: „Die Suche nach Schuldigen<br />
nützt ja nichts.“<br />
Merkel reagiert seither oft trotzig, wenn<br />
sie auf Kurz angesprochen wird. „Wenn<br />
Sie mich also fragen, ob die Schließung der<br />
Balkanroute das Problem gelöst hat, sage<br />
ich klar: nein“, erklärte sie im Oktober<br />
2016. Wenig später stand in den CDU-Parteitagsbeschlüssen<br />
jedoch, dass dieser von<br />
Kurz eingeleitete Schritt ein Erfolg sei.<br />
Viele Unionspolitiker loben nun den<br />
Österreicher, manche hinter vorgehaltener<br />
Hand, andere auch offen. „Einige österreichische<br />
Themen wie die Sorge der Menschen<br />
um Sicherheit sind vergleichbar mit<br />
Deutschland“, sagt Paul Ziemiak, Chef der<br />
Jungen Union. Kurz habe einen „sehr bürgernahen<br />
Wahlkampf geführt“, lobt er den<br />
fast gleichaltrigen Politiker. „Klare Sprache<br />
und direkter Dialog stehen bei ihm im Mittelpunkt.“<br />
Nur wenige kritisieren Kurz für seinen<br />
Rechtskurs: „Er hat der FPÖ jedenfalls<br />
nicht geschadet, sie ist stärker als zuvor“,<br />
sagt Vorstandsmitglied Elmar Brok. Kurz’<br />
Rolle in der Flüchtlingspolitik sei „nicht<br />
immer hilfreich“ gewesen, die Auftritte im<br />
deutschen Fernsehen anmaßend. „Ich erkenne<br />
wenig in dem österreichischen Wahlkampf<br />
oder Wahlergebnis, was für die<br />
Union nachahmenswert wäre“, betont<br />
ebenfalls der Außenpolitiker Norbert Röttgen.<br />
„Wir wollen auch im Namen Christdemokraten<br />
bleiben und nicht Anhänger<br />
der Liste des jeweiligen Spitzenkandidaten<br />
werden.“<br />
Als Sebastian Kurz am Donnerstagmittag<br />
im Brüsseler Akademiepalast steht,<br />
läuft auf einmal Angela Merkel an ihm vorbei.<br />
Sie bemerkt ihn nicht. Kurz hastet ihr<br />
nach, im Türrahmen erwischt er sie und<br />
spricht sie von hinten an. Er wolle sie doch<br />
noch mit Handschlag begrüßen, sagt er höflich.<br />
Knapp zehn Minuten sitzen sie dann<br />
beisammen. Nicht lang genug, um wirklich<br />
miteinander warm zu werden. Falls das<br />
überhaupt möglich ist.<br />
Melanie Amann, Markus Feldenkirchen,<br />
Walter Mayr, Peter Müller,<br />
Christoph Scheuermann, Christoph Schult<br />
Video: „Nur eine<br />
Mehrheit rechts der Mitte“<br />
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DER SPIEGEL 43 / 2017<br />
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