Kultur „Das detailreichste und enthüllendste Porträt einer der größten Bands aller Zeiten“ EMPIRE Ab 20.10. als Special Edition inkl. 4,5 Stunden exklusivem Bonusmaterial seiner eigenen Werke nahm er mit in den beiden Koffern. Und die Bücher? Die sind bei Verwandten in Hasaka gestapelt. Als es kalt wurde im Winter und die Verwandten erzählten, wie sehr sie froren, sagte Hamza: „Verbrennt die Bücher.“ Sie weigerten sich. „Menschen sind doch wichtiger als Bücher“, sagt Hamza. Nun ist er wieder von Büchern umgeben, und vielleicht wird er eines Tages sagen, sie hätten ihn gerettet. Seit einem halben Jahr hat er einen Aushilfsjob in der Buchhandlung Slawski, meist montags und dienstags, für zehn Euro die Stunde. <strong>Der</strong> Laden ist klein, aber gut sortiert und gemütlich, Kunden sitzen gern auf dem blauen Sofa in der Mitte und lesen. Wenn Hamza ein Buch aus dem Regal zieht, nimmt er es vorsichtig, fast zärtlich in die Hand. Man könne sich mit ihm über die ganze Weltliteratur unterhalten, lobt seine Chefin Monika Külper. Sie schwärmt von seinen Umgangsformen, die Kunden liebten ihn. Seine Deutsch wird immer besser. Die Buchhandlung öffnet um neun Uhr, doch Hamza bittet, zum Interview später zu kommen, erst müssten die Kundenbestellungen erledigt sein. Er ist ein höflicher, bescheidener Mann, er will seine Dankbarkeit zeigen. Deutschland nennt er ein „gutes Exil“. Eigentlich sei er ja bereits in Syrien im Exil gewesen, sagt er. Ein Regimekritiker, Kurde dazu, der sich schon 2004 an einem friedlichen Sitzstreik vor dem Parlament in Damaskus beteiligte. Als Anwalt verteidigte Hamza ehrenamtlich auch politische Häftlinge, schrieb kritische Artikel. Zwei seiner Gedichtbände sind in Syrien verboten. 2004 hatte er noch den Mohammedal-Maghout-Preis bekommen für Lyrik. „Ich komme aus einem unglücklichen Land“, sagt Hamza. Einem Land, in dem die Bauern den Wetterbericht nicht mehr verfolgten, wie er in einem Gedicht schreibt: „<strong>Der</strong> Himmel bedeutet uns nichts mehr/ und inzwischen legen wir unsere Söhne in die Erde anstelle von Saatgut.“ In Buchholz fragt er seine Söhne immer wieder: Wollt ihr zurück? Nein, sagen sie dann. Sie seien glücklich in ihrer Schule, sie gehen in die zweite und die vierte Klasse, sie haben Schwimmen gelernt, spielen Fußball, sein ältester Sohn malt. Sie haben eine schöne Wohnung bekommen. „Das syrische Volk braucht psychologische Hilfe“, sagt Lina Atfah, „wir haben den Glauben an alles verloren.“ Ihre Mutter ist zu Besuch gekommen, sie nickt. Dann weint sie. Sie war Französischlehrerin in Syrien, eine schmale, fein gekleidete Frau. Sie lebt jetzt mit ihren jüngeren Kindern in der Nähe. Immer, wenn von ihrem Mann die Rede ist, weint sie. „Ich war schon so verzweifelt, dass ich mich fragte, wessen Hand ich küssen könnte, damit er herkommt“, sagt Lina Atfah. Nun hat die Familie zum ersten Mal Hoffnung. Sie haben an das Kanzleramt geschrieben, wo Atfah beim Tag der Offenen Tür ihre Gedichte las, und an das Auswärtige Amt. Das hat sich inzwischen gemeldet, man will sich kümmern. Sie sei Deutschland so dankbar, sagt Atfah, aber dass der Familiennachzug ausgesetzt sei für viele Flüchtlinge, finde sie ein großes Unrecht. Bevor sie ausreisen konnte, musste sie Verhöre der Sicherheitsbehörden über sich ergehen lassen. Immer wieder die Frage: „Warum schreibst du gegen uns? Warum schreibst du nicht für Assad?“ 2011 hatte sie sich an den Protesten beteiligt, man verweigerte ihr deshalb zunächst die Papiere. Schon als 17-Jährige kritisierte sie in einem Gedicht, die Menschen stürben an Hunger, die Gouverneure dagegen, weil sie zu viel äßen. Dann kam der Tag ihrer Ausreise, ohne das Recht auf Rückkehr. „Ich wollte alle Kleider mitnehmen, meine Erinnerungen, meine Kindheit.“ So kam sie mit einem Aref Hamza sagt, er träume nicht mehr. Er habe aber auch keine Albträume mehr. 50 Kilogramm schweren Rucksack in Deutschland an, voller Kleider, arabischer Süßigkeiten, einer Teekanne samt Teegläsern und Löffeln, Büchern und zwölf Flaschen ihres Lieblingsparfums. Vor drei Wochen hat Lina Atfah ihre erste Deutschprüfung, Niveau A1, bestanden. Sie war so stolz, dass sie sich gleich wieder für einen Intensivkurs angemeldet hat. Gerade sind neue Gedichte von ihr erschienen. Und sie probiert, auf Deutsch zu schreiben: „ Ich versuche zu leben. Ich versuche neue Adresse zu buchstabieren. Ich versuche meinen alten <strong>Spiegel</strong> zu zerbrechen.“ Aref Hamza sagt, er träume nicht mehr. Aber er habe auch keine Albträume mehr. Eines Tages kam sein Sohn zu ihm und küsste ihm die Hand. „Was ist?“, fragte er ihn. „Du hast gesagt, wir werden schöne Plätze sehen“, sagte sein Sohn, „und du hast nicht gelogen.“ Seitdem weiß Hamza, dass er das Richtige getan hat, als er seine Heimat verließ und sein Haus und seine Bücher und sein Anwaltsbüro und seine Freunde und die langen Nächte, die er so liebte, in denen man zusammensaß und nicht an den nächsten Morgen dachte. Nun überlegt er, ob er die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Er sucht einen Ausbildungsplatz in einem Anwaltsbüro. Und: Im Frühjahr erscheint sein erster Gedichtband auf Deutsch. Annette Großbongardt 132 DER SPIEGEL 43 / 2017
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