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20171020-Der_Spiegel_Nachrichtenmagazin

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Kultur<br />

Jenseits des Zauns<br />

Filmkritik In ihrer melancholischen<br />

Komödie „Sommerhäuser“ erzählt Sonja<br />

Maria Kröner vom Ende eines Idylls.<br />

Kinostart: 26. Oktober<br />

Die Kinder tollen über die Wiese und klettern ins<br />

Baumhaus, Vati reibt Mutti die Schultern mit Sonnenmilch<br />

ein, die Großtante sitzt in der bunt gemusterten<br />

Hollywoodschaukel und strickt. Eine deutsche<br />

Familie im Sommer 1976. Wie schön das alles ausschaut.<br />

Wenn nur die lästigen Wespen nicht wären.<br />

Im Garten ragt der Stumpf eines Baumes in den blauen<br />

Himmel, gerade zerstört von einem Blitz, genau an dem<br />

Tag, als Uroma beerdigt wurde. Nun packen alle mit an,<br />

der Vater, der Großvater, die Kinder, sie zersägen den<br />

Baum und transportieren ihn ab. Und der Film „Sommerhäuser“<br />

macht aus der Familienidylle Kleinholz.<br />

Die deutsche Regisseurin Sonja Maria Kröner<br />

zeigt die Siebziger als eine Zeit, in der<br />

vieles brüchig wird, Bäume und Rollenbilder,<br />

soziale Strukturen und verbindende Werte.<br />

Die Familie könnte das Holz auftürmen und<br />

anzünden. Aber das Lagerfeuer würde sie<br />

nicht mehr vereinen.<br />

Bernd (Thomas Loibl), Enkel der verstorbenen<br />

Urgroßmutter Sophie, schlurft mit Vollbart<br />

und kalkweißen Beinen durch den Garten,<br />

seine Kinder tanzen ihm auf der Nase<br />

herum, vor seinem Vater Erich (Günther Maria<br />

Halmer) kuscht er. Seine Frau Eva (Laura<br />

Tonke) hat Angst, dass Bernds Schwester Gitti<br />

(Mavie Hörbiger) vom Erbe mehr abkriegt.<br />

Gitti trägt eine goldene Bluse und einen<br />

orange roten Rock. Die Klamotten habe ihr<br />

ein alter Verehrer spendiert, sagt sie stolz.<br />

„Alt sind sie ja immer“, gibt Eva zurück.<br />

Großtante Ilse (Ursula Werner) hat ihre<br />

Mutter Sophie bis zum Tod gepflegt. Sie<br />

möchte, dass alles so bleibt, dass die Familie<br />

hier jeden Sommer wieder zusammenkommt. Alle anderen<br />

wollen das Grundstück verkaufen.<br />

Die Regisseurin Kröner wurde 1979 in München geboren<br />

und studierte dort Film. Bislang drehte sie Videoinstallationen<br />

und Kurzfilme. Für „Sommerhäuser“ erhielt sie<br />

bereits einige Preise.<br />

Regisseurinnen wie Maren Ade, Nicolette Krebitz, Maria<br />

Schrader oder Valeska Grisebach haben sich in den vergangenen<br />

Jahren an neue Themen, Stile und Erzählweisen<br />

herangewagt. War das deutsche Kino in jüngerer Zeit<br />

frisch und ungewöhnlich, war es meist weiblich.<br />

In „Sommerhäuser“ ist von der ersten Szene an zu spüren,<br />

dass auch Kröner einen ganz eigenen Blick auf die<br />

Welt wirft. Sie zeigt ihre Figuren in seltsam verdrehten,<br />

aus der Balance geratenen Einstellungen. Immer ragt etwas<br />

ins Bild, verstellt etwas den Blick. Diese Welt ist zu<br />

kantig und zu sperrig, um sie in Bilder zu fassen.<br />

Doch das ändert sich jäh, als das Runde ins Eckige<br />

kommt, als die kleine Jana (Emilia Pieske), Tochter von<br />

Eva und Bernd, ins Bild springt, auf einem dieser Hüpfbälle,<br />

wie sie in den Siebzigern in Mode waren. Die Kamera<br />

folgt Jana in einer langen Einstellung quer durch<br />

den Garten. Es wirkt befreiend.<br />

Hier ist eine Regisseurin, die weiß, wie eine einzige Bewegung<br />

einen Film aufreißt und den Zuschauer einmal<br />

tief durchatmen lässt. Ein Kind, das die Familiengeheimnisse<br />

und Zwistigkeiten kaum kennt, hüpft fröhlich und<br />

ausgelassen mitten durch das Minenfeld.<br />

Einmal verstecken sich Jana und Gittis Tochter Inga<br />

(Anne-Marie Weisz) unter einem Esstisch. <strong>Der</strong> Film nimmt<br />

den Blick der Kinder ein. Sie sehen, wie die Erwachsenen<br />

Platz nehmen, sich ihre Schuhe ausziehen und darüber<br />

reden, was mit dem Grundstück geschehen soll. Unter<br />

dem Tisch bekommen Jana und Inga versteckte Berührungen<br />

der Erwachsenen mit, die verraten, was wirklich<br />

in ihnen vorgeht. Kröner macht daraus eine wunderbare<br />

Szene, in der die Zuschauer mit den Mädchen erahnen,<br />

wie in dieser Familie geschachert und taktiert wird.<br />

Und es sind auch die Kinder, die in „Sommerhäuser“<br />

die Welt jenseits der Familie erkunden. Jana hüpft auf ihrem<br />

Ball bis vor einen Zaun am Rande des Grundstücks<br />

und klettert durch eine Lücke auf die andere Seite. Dort<br />

tut sich ein märchenhafter Wald auf, düster und verwunschen,<br />

an den Ästen hängen Puppen.<br />

Darsteller Hörbiger, Loibl, Tonke: Kleinholz aus der Großfamilie<br />

Wie der Regisseur David Lynch in seinem Film „Blue<br />

Velvet“ oder in seiner TV-Serie „Twin Peaks“ zeigt Kröner,<br />

dass die Idylle und der Horror Nachbarn sein können. Ein<br />

Kindermörder hält sich in der Gegend auf, er schneidet<br />

seinen Opfern Hände und Füße ab.<br />

Kröner fügt diese ganzen scheinbar disparaten Elemente<br />

zusammen. Sie nutzt den Horror, um die Familiengeschichte<br />

aufzuladen. Sie holt sich beim französischen Kino den<br />

Mut, einen Film zu machen, in dem wenig passiert, außer<br />

dass ein paar Leute bei großer Sommerhitze im Garten<br />

abhängen. Und sie entwickelt aus der Komik Tragik.<br />

Am Ende des Films ist die Familie über den Garten verteilt,<br />

jeder für sich, in sich gekehrt, sprachlos. Es ist Herbst,<br />

Laub fällt von den Bäumen, Ilse fegt es zusammen. <strong>Der</strong><br />

Sommer, in dem man in der Hollywoodschaukel saß, im<br />

Bassin planschte und Wespen jagte, ist weit weg.<br />

Lars-Olav Beier<br />

PROKINO FILMVERLEIH<br />

DER SPIEGEL 43 / 2017<br />

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