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20171020-Der_Spiegel_Nachrichtenmagazin

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Gesellschaft<br />

Franziskas Grab<br />

Täuschungen 24 Jahre lang versteckt ein Mann die Leiche seiner Frau in einem Fass.<br />

Dann gesteht er einen Totschlag, der aber längst verjährt ist. Die Geschichte eines ebenso<br />

bizarren wie perfekten Verbrechens. Von Maik Großekathöfer<br />

An die Polizei. In diesem Fass ist die<br />

Leiche meiner ehemaligen Frau<br />

Franziska Sander, geb 4.8.65.“<br />

So beginnt, in kalter Klarheit, der Brief,<br />

den Jens K.* auf das Fass gelegt hat, in<br />

dem er seit 24 Jahren seine tote Frau verwahrt.<br />

<strong>Der</strong> Verfasser spricht seinen Adressaten<br />

direkt an, die Polizei, er hat sie längst<br />

erwartet. Den Brief schrieb er vor mehr<br />

als zehn Jahren, mit Kugelschreiber auf<br />

kariertem Papier.<br />

Jens K. fährt fort: „Sie hat sich am<br />

10.2.1992 selbst das Leben genommen. Sie<br />

hat sich mit Paketband an einem Haken<br />

in unserer damaligen Wohnung erhängt.<br />

Ich habe sie trotz ihrer ständigen Depressionen<br />

sehr geliebt, habe den Wunsch verspürt<br />

ihr zu folgen.“<br />

<strong>Der</strong> Brief, drei gefaltete Seiten, steckt<br />

unter einem Stück Pappe, das K. auf das<br />

Fass geklebt hat, auf das Grab seiner<br />

Frau. Neben dem Schreiben stehen in großer<br />

Schrift die Worte „Faß enthält LEI-<br />

CHE“ auf der Pappe, darunter das Wort<br />

„Polizei“ und ein Pfeil, der zum Brief zeigt.<br />

<strong>Der</strong> schwarze Marker, den K. für diesen<br />

überdeutlichen Hinweis benutzt hat, liegt<br />

noch auf dem Fass, als die Ermittler alles<br />

finden.<br />

K. schreibt: „Nach einer Woche habe<br />

ich allen Mut zusammen genommen, sie<br />

in diesem Fass beerdigt, mein Leben neu<br />

begonnen. Ich habe Kinder, welche ich mit<br />

einer anderen Frau nach dem Tod gezeugt<br />

habe. Ich liebe diese über alles, sie sollen<br />

NIE den Eindruck bekommen müssen, ihr<br />

Vater sei ein Mörder, dieses ist nicht so!“<br />

Mit dem Fund der Leiche von Franziska<br />

Sander am 13. September des vergangenen<br />

Jahres in einer Stadt in Schleswig-Holstein<br />

findet nicht nur die 24 Jahre dauernde Ungewissheit<br />

ihrer Angehörigen ein Ende, ihres<br />

Bruders, ihrer drei Schwestern. Als die<br />

Beamten das Tor zur Garage öffnen, in<br />

der das Fass versteckt war, kommt auch<br />

einer der seltsamsten Fälle der jüngeren<br />

deutschen Kriminalgeschichte ans Licht.<br />

Die Ermittlungsakte umfasst 13 Bände,<br />

fast 1400 Seiten, die eine Geschichte er-<br />

* Namen geändert.<br />

54 DER SPIEGEL 43 / 2017<br />

zählen von Lügen, Eifersucht und Schweigen.<br />

Zum Vorschein kommt aber auch eine<br />

Reihe von Verfahrensmängeln, Verzögerungen<br />

und Fehleinschätzungen auf allen<br />

Seiten. Mehr aus Nachlässigkeit denn aus<br />

Raffinesse konnte aus dem Fall Franziska<br />

Sander die Geschichte eines perfekten Verbrechens<br />

werden, eines Verbrechens jedenfalls,<br />

das ohne Sühne bleibt.<br />

Denn Jens K., der Ex-Mann und mutmaßliche<br />

Täter, ist frei, er lebt mit seiner<br />

Familie in einem Haus an einer Pferdekoppel.<br />

Ein Mord ist ihm nicht nachzuweisen,<br />

ein Totschlag gilt als hochwahrscheinlich.<br />

Aber Totschlag verjährt nach 20 Jahren.<br />

Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll<br />

von jenem 13. September 2016: Die Beamten<br />

fragen Jens K., was er gemacht habe,<br />

nachdem er seine Frau angeblich erhängt<br />

in der Wohnung fand.<br />

Jens K.: „Ich habe Franziska in einem<br />

Fass verpackt und das Fass zugeschweißt.<br />

Ich kann Ihnen zeigen, wo das Fass ist.“<br />

Polizist: „Wo ist das?“<br />

„Hier. Ich habe eine Garage angemietet.“<br />

„Ist das Fass immer mit umgezogen?“<br />

„Ja. Das sollte meine Versicherung sein,<br />

damit ich beweisen kann, dass ich ihr nichts<br />

getan habe. Ich habe noch nie jemanden<br />

geschlagen oder einem Gewalt angetan.“<br />

Als sie sich kennenlernen, 1982 in<br />

Hannover, ist Jens K. 18 und Franziska<br />

Sander 17 Jahre alt, eine Teenagerliebe.<br />

Sie ist vom Land hergezogen, besucht eine<br />

Fachoberschule für Gestaltung, wohnt in<br />

einem katholischen Mädchenwohnheim.<br />

Er schließt eine Lehre zum Außenhandelskaufmann<br />

ab, später lässt er sich zum<br />

Erzieher ausbilden. 1985 verloben sie sich<br />

und ziehen zusammen, zwei Zimmer, Küche,<br />

Bad. Drei Jahre später heiraten sie.<br />

Ein vergilbtes Hochzeitsfoto, das bei den<br />

Akten liegt, zeigt eine hübsche, junge Frau<br />

mit Fransenschnitt, Pausbacken, weißer<br />

Rüschenbluse und breitem Lächeln; neben<br />

ihr, ebenso glücklich lächelnd, ein junger<br />

Mann mit Vokuhila, Schulterpolsterjackett<br />

und dünnem Schlips. Er ist jetzt 24, sie 23<br />

Jahre alt, ein unauffälliges, kleinbürger -<br />

liches Ehepaar irgendwo in Deutschland<br />

mit unbekannten Träumen.<br />

13. September 2016. Noch am Tag der<br />

Vernehmung gehen die Kriminalbeamten<br />

gemeinsam mit Jens K. zum Garagenhof,<br />

wo er die Leiche deponiert haben will, und<br />

öffnen das Tor Nummer elf.<br />

Sie sehen ein großes Durcheinander,<br />

eine Schubkarre, einen Autositz, eine<br />

Schleifmaschine. In der hinteren rechten<br />

Ecke, verborgen hinter drei Autoreifen, unter<br />

Tüten, Teppichresten, Müll und blauer<br />

Plane, steht eine Sackkarre. Darauf, festgebunden<br />

mit zwei Spanngurten: das Fass.<br />

Am nächsten Morgen lässt der Rechtsmediziner<br />

in Hannover das Fass vermessen<br />

und wiegen. 87,5 Zentimeter hoch, 60 Zentimeter<br />

Durchmesser, 134 Kilogramm.<br />

Zwei Mitarbeiter in weißen Schutzanzügen<br />

öffnen es mit einer elektrischen Blechschere.<br />

Das Fass ist bis zum Rand mit Katzenstreu<br />

gefüllt. K. sagt später, er habe damit<br />

verhindern wollen, „dass der Körper<br />

sich in dem Fass frei bewegt“.<br />

Katzenstreu bindet Flüssigkeit und neutralisiert<br />

Gerüche.<br />

Als die Mediziner das Substrat mit einem<br />

Kehrblech nach und nach entfernen, kommen<br />

etliche Gegenstände zum Vorschein,<br />

die Jens K. seiner Frau offenbar als Grabbeigaben<br />

zugedacht hatte, Dinge, die eine<br />

Rolle gespielt haben müssen in ihrem gemeinsamen<br />

Leben: ein Kuscheltier, ein vertrockneter<br />

Blumenstrauß, ein gestreiftes<br />

Kopfkissen. Eine Kette mit einem Anhänger<br />

in Form eines Mondes. Ein roter Bilderrahmen<br />

mit einem Hochzeitsfoto. Eine<br />

Zimtstange, Gerstenähren, zwei lilafarbene<br />

Stiefeletten. Ein Kinderbuch mit dem Titel<br />

„Bigu, das kleine Igelchen mit den Locken“.<br />

Was die Forensiker zu Gesicht bekommen,<br />

erinnert an ein Indianergrab.<br />

Schließlich finden sie, verpackt in einem<br />

Müllsack, die zusammengeschnürte Leiche<br />

der Franziska Sander.<br />

Man weiß nicht viel darüber, was für<br />

eine Beziehung die Eheleute in den frühen<br />

Neunzigern geführt haben. Die Angaben<br />

darüber sind widersprüchlich, sie stammen<br />

einerseits von Jens K. und andererseits<br />

von Franziskas Bruder Hubertus Sander.<br />

Jens K. sagt, seine Frau habe nie selbst<br />

arbeiten und „keinen Kontakt zu ihrer

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