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20171020-Der_Spiegel_Nachrichtenmagazin

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Wirtschaft<br />

eine weitere Nuklearmacht gibt“<br />

braucht Nordkorea überhaupt? Früher haben<br />

die Chinesen rund 600000 Tonnen exportiert<br />

und die Russen rund 300000 Tonnen.<br />

Solange wir die Gesamtmenge nicht<br />

kennen, wissen wir nicht, wie viel 30 Prozent<br />

weniger sind.<br />

SPIEGEL: Was bedeutet das konkret?<br />

Langhammer: Wir haben zunächst nur auf<br />

dem Papier eine Verschärfung der Sanktionen.<br />

Inwieweit sie umgesetzt werden –<br />

inwieweit sie überhaupt Bedeutung haben<br />

– wissen wir nicht. China könnte beispielsweise<br />

sagen: Ihr kriegt die gleiche Menge<br />

wie vorher, wir geben euch das Öl aber<br />

30 Prozent billiger. Damit wären die Sanktionen<br />

wertmäßig eingehalten. Allerdings:<br />

Je detaillierter die Sanktionen gewesen<br />

wären, desto weniger wahrscheinlich wäre<br />

es gewesen, dass die Chinesen und Russen<br />

zugestimmt hätten.<br />

SPIEGEL: Und wenn China seine Politik<br />

überdenkt?<br />

Langhammer: Selbst dann hätte Nordkorea<br />

immer noch geheime und illegale Wege,<br />

um an Geld zu kommen: Drogen- und Waffenhandel,<br />

den Export militärischer Expertise<br />

und Software. Es gibt immer Außenseiter,<br />

die Sanktionen brechen, das wird<br />

auch bei Nordkorea der Fall sein. Malaysia<br />

ist so ein Kandidat. Man müsste jeden Tanker<br />

kontrollieren, das ist nicht so einfach.<br />

Nehmen Sie Kuba: Selbst ein sehr weit -<br />

gehendes Embargo hat die kubanische Regierung<br />

nicht in die Knie gezwungen – und<br />

Kuba ist leichter zu isolieren als Nord -<br />

korea.<br />

KCNA / REUTERS<br />

SPIEGEL: Kuba lebte 57 Jahre lang mit Sanktionen.<br />

Warum erweisen sich autoritäre<br />

Regime häufig als erstaunlich stabil gegen<br />

Druck von außen?<br />

Langhammer: Je länger die Sanktionen andauern,<br />

desto größer ist der Gewöhnungseffekt.<br />

Sanktionen stärken dann das Nationalgefühl,<br />

sie schaffen eine Art Wagenburgmentalität.<br />

Die Frage bei Kuba ist doch:<br />

Hat das Land trotz der Sanktionen so lange<br />

durchgehalten – oder wegen der Sanktionen?<br />

Am einfachsten scheint es bei afrikanischen<br />

Volkswirtschaften zu sein. Ein kleptokratischer<br />

Machthaber weiß: Wenn ich<br />

meine Politik nicht ändere, bin ich sehr bald<br />

nicht mehr im Amt, weil die Wirtschaft in<br />

die Schattenwirtschaft abgleitet, daher meine<br />

Steuereinnahmen sinken und ich meine<br />

Klientel nicht mehr versorgen kann.<br />

SPIEGEL: Bei solchen Herrschern wirken<br />

auch gezielte Sanktionen: das Einfrieren<br />

von Auslandsguthaben, Reisebeschränkungen,<br />

ein Exportstopp von Luxusgütern.<br />

Langhammer: Dafür sind diese Leute anfällig.<br />

Ihr Wohlstand und ihre Macht sind an<br />

ihre Funktion gebunden. Wenn es um Korruption<br />

geht, muss man dort den Scheinwerfer<br />

auf den Zolldirektor richten, der<br />

ist potenziell der reichste Mann. Wenn der<br />

Scheinwerfer sehr hell ist, wird er vorsichtig<br />

sein, um nicht Konkurrenten anzuziehen.<br />

Kim ist, nach allem, was wir wissen,<br />

kein Konsummensch und an der Anhäufung<br />

von persönlichem Reichtum nicht interessiert.<br />

Er und seine Umgebung brauchen<br />

keinen Luxus.<br />

SPIEGEL: Wo wirken welche Sanktionen am<br />

ehesten?<br />

Langhammer: Kleine offene Volkswirtschaften<br />

kann man am ehesten mit einem<br />

Finanzembargo treffen, indem man sie beispielsweise<br />

vom internationalen Zahlungssystem<br />

Swift abtrennt. Eine große, relativ<br />

geschlossene, rohstoffreiche Volkswirtschaft<br />

wie Russland durch Sanktionen zu<br />

einem Zugeständnis zu zwingen, ist nahezu<br />

aussichtslos. Solche Länder regieren<br />

mit einer Importsubstitutionspolitik, damit<br />

kann man jahrelang durchkommen.<br />

SPIEGEL: Wenn das alles so wenig bringt:<br />

Warum wird überhaupt sanktioniert?<br />

Langhammer: Man möchte politisch Handlungsfähigkeit<br />

beweisen. Man will zeigen,<br />

dass man einer Regierung bestimmte Dinge<br />

nicht durchgehen lässt. Die internationale<br />

Gemeinschaft will Nordkorea dafür<br />

bestrafen, dass es sich über sämtliche Auflagen,<br />

sein aggressives Atomprogramm einzustellen,<br />

hinweggesetzt hat.<br />

SPIEGEL: Drohungen gegen ein Land gab<br />

es früher auch schon: gegen Iran, gegen<br />

den Irak, gegen Libyen. Präsident Donald<br />

Trump droht auch denen, die weiter mit<br />

Nordkorea Handel treiben.<br />

Langhammer: Das ist tatsächlich neu. Früher<br />

gab es Sanktionen, die entweder befolgt<br />

oder ignoriert wurden. Es gab aber nicht<br />

die direkte Drohung eines Regierungschefs<br />

gegenüber einem anderen Land: Wenn du<br />

die Sanktionen nicht befolgst, dann mach<br />

ich dir mit deinem Geschäft in meinem<br />

Land richtig Ärger. Die trumpsche Politik<br />

versteht ja die amerikanische Außenhandelspolitik<br />

im Wesentlichen als Außen -<br />

politik. Das gibt dem amerikanischen<br />

Präsidenten sehr viel Macht, Schrauben<br />

anzuziehen.<br />

SPIEGEL: Sanktionen verursachen, wenn sie<br />

schmerzhaft sind, immer Kosten auf beiden<br />

Seiten: beim Sanktionierten – und<br />

beim Sanktionierenden.<br />

Langhammer: Und meist verwechseln wir<br />

Kosten mit Wirksamkeit. Zumal es einen<br />

Trend gibt: Wir ersetzen physischen Handel<br />

immer mehr durch digitalen Handel<br />

mit Dienstleistungen. Software, Musiktitel<br />

oder Videospiele werden bei Sanktionen<br />

aber überhaupt nicht erfasst. Das ist ein<br />

Milliardengeschäft. Wir wissen gar nicht<br />

mehr, was Handel alles umfasst. Dienstleistungen<br />

haben keine Zölle. Wir wissen nicht<br />

mehr, wo die physische Ländergrenze ist.<br />

<strong>Der</strong> physische Handel wuchs 2016 weniger<br />

als die Weltproduktion und wird auch in<br />

den nächsten Jahren nicht mehr so rasch<br />

wachsen wie früher. Was wir bei den Sanktionen<br />

machen, ist im Grunde altmodisch.<br />

SPIEGEL: Was wäre die Alternative zu Wirtschaftssanktionen?<br />

Langhammer: Wir müssen akzeptieren, dass<br />

es mit Nordkorea eine weitere Nuklearmacht<br />

gibt. Es hätte sie nicht geben dürfen,<br />

aber es gibt sie. Das heißt, wir akzeptieren<br />

die Police einer Lebensversicherung für<br />

Kim. Die Nordkoreaner wollen bilaterale<br />

Gespräche mit den Amerikanern, um als<br />

Nuklearmacht offiziell anerkannt zu werden,<br />

vielleicht muss man da ansetzen. Vielleicht<br />

kann ja auch eine dritte Macht,<br />

Europa oder ein einzelnes europäisches<br />

Land, die Rolle des ehrlichen Maklers übernehmen.<br />

SPIEGEL: Das erfordert strategisches Genie,<br />

taktisches Geschick und psychologisches<br />

Verständnis.<br />

Langhammer: Ich erinnere mich an eine<br />

Anekdote aus meiner Schulzeit. Wir sollten<br />

einen lateinischen Text über eine Belagerung<br />

ins Deutsche übersetzen, es wurde<br />

meine einzige Sechs in Latein. Irgendeine<br />

Festung war eingeschlossen, die Römer<br />

sollten ausgehungert werden, irgendwann<br />

wurden Brote geworfen. Ich hatte keine<br />

Ahnung, wer wohin warf, und musste raten.<br />

Ich übersetzte: Die Belagerer werfen Brote<br />

über die Zinnen, um die Belagerten zur Aufgabe<br />

zu bringen. Anders konnte ich es mir<br />

nicht erklären. Tatsächlich hatte ich die Wagenburgmentalität<br />

nicht verstanden, richtig<br />

war: Die Römer warfen Brote auf die Be -<br />

lagerer, um zu beweisen, wie wirkungslos<br />

das Aushungern ist. Ich hatte offensichtlich<br />

dieses psychologische Verständnis damals<br />

nicht.<br />

Interview: Hauke Goos<br />

DER SPIEGEL 43 / 2017<br />

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