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20171020-Der_Spiegel_Nachrichtenmagazin

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Deutschland<br />

Wenn es Merkels<br />

Ziel war, die Politik zu<br />

mäßigen, dann ist es<br />

gründlich misslungen.<br />

aber nie gehasst. Umso schärfer war der<br />

Kontrast, als dann am 24. September die<br />

AfD den Sprung in den Bundestag schaffte<br />

und Alexander Gauland noch am Wahlabend<br />

versprach, seine Partei werde von<br />

nun an die Kanzlerin „jagen“.<br />

<strong>Der</strong> Aufstieg der AfD hat viele Gründe,<br />

aber einer war sicher auch, dass Merkel<br />

ihre Politik an den Empfehlungen der Meinungsforscher<br />

ausgerichtet hat. Wenn man<br />

heute, mit einigem Abstand, noch einmal<br />

die Analysen von Matthias Jung zur Hand<br />

nimmt, dem Demoskopen des Vertrauens<br />

der CDU, dann lesen sie sich wie Blaupausen<br />

für Merkels Politik. Folgt man Jungs<br />

Empfehlungen, dann blieb der CDU gar<br />

keine andere Wahl, als sich nach links zu<br />

orientieren. Denn einerseits verlieren die<br />

klassischen CDU-Milieus immer mehr an<br />

Bedeutung, und andererseits sterben der<br />

Union alle vier Jahre rund eine Million<br />

ältere Wähler weg.<br />

Als im Zuge der Eurokrise die AfD ihre<br />

erste Blüte erlebte, erkannte Jung in der<br />

neuen Partei nicht etwa eine Gefahr für<br />

die Union, sondern eine Art Glücksfall.<br />

„Die CDU/CSU ist durch die bloße Existenz<br />

der AfD vom latenten Vorwurf<br />

befreit, rechts zu sein, was anders als in<br />

den meisten europäischen Ländern in<br />

Deutschland einen stigmatisierenden Charakter<br />

hat“, schrieb Jung in einem Aufsatz,<br />

der im Jahr 2015 erschien und die<br />

Überschrift „Die AfD als Chance für die<br />

Union“ trug.<br />

Jung drehte den Satz von Franz Josef<br />

Strauß, wonach es rechts von der Union<br />

keine demokratisch legitimierte Partei geben<br />

darf, einfach um: Gerade weil es nun<br />

eine Partei rechts von der Union gibt, kann<br />

die CDU umso glaubwürdiger den Verdacht<br />

zerstreuen, sie sei eine rechte Partei.<br />

Dass der Aufsatz Jungs ausgerechnet in<br />

der Zeitschrift „Politische Studien“ erschien,<br />

der Hauspublikation der CSU-nahen<br />

Hanns-Seidel-Stiftung, gibt der Sache<br />

eine besondere Würze.<br />

Nun kann man keinem Politiker ernsthaft<br />

vorwerfen, dass er versucht, so viele<br />

Wähler wie möglich zu erreichen, und<br />

Merkels Strategie war über lange Jahre<br />

sehr erfolgreich. Wenn sie es schafft, eine<br />

Jamaikakoalition zu zimmern, könnte sie<br />

16 Jahre lang regieren, vor ihr gelang das<br />

nur Helmut Kohl; in ihrer Amtszeit<br />

schrumpfte die SPD auf zuletzt 20,5 Prozent.<br />

Merkel ist dabei, die Parteienlandschaft<br />

Deutschlands zu revolutionieren. Sie<br />

denkt dabei viel radikaler, als es viele in<br />

der CDU glauben. Im Moment wird in der<br />

Partei darüber gestritten, ob die Kanzlerin<br />

die richtige Strategie im Umgang mit der<br />

AfD verfolgt. Das aber setzt voraus, dass<br />

es überhaupt eine Strategie gibt. Am<br />

Wahlabend sagte Merkel, die „strategischen<br />

Wahlziele“ seien erreicht: Die Union<br />

sei die stärkste Kraft, an ihr vorbei könne<br />

keine Regierung gebildet werden. Im<br />

Umkehrschluss heißt das: Den Einzug der<br />

AfD in den Bundestag zu verhindern gehörte<br />

gar nicht zum Ziel des Adenauer-<br />

Hauses.<br />

Wenn man mit dem kalten Blick des<br />

Parteistrategen die Lage betrachtet, dann<br />

bringt der Einzug der AfD durchaus Vorteile<br />

für die CDU: Im letzten Bundestag<br />

hätten SPD, Grüne und Linke Merkel abwählen<br />

können. Am 24. September aber<br />

verloren SPD und Linkspartei zusammen<br />

900 000 Stimmen an die AfD. Die linke<br />

Mehrheit im Parlament verschwand. So<br />

gesehen zementiert die AfD Merkels<br />

Macht.<br />

Manche in der CDU argumentieren,<br />

dass Deutschland, was den Rechtspopu -<br />

lismus angehe, lediglich eine verspätete<br />

Nation sei. In fast jedem Nachbarland gibt<br />

es inzwischen eine Partei, die von einer<br />

Melange aus Abstiegsängsten und Fremdenfeindlichkeit<br />

profitiert. Das ist richtig.<br />

Aber in Deutschland war das Tabu gegen<br />

rechts aus historischen Gründen immer besonders<br />

stark. Erst die Flüchtlingskrise öffnete<br />

der AfD den Weg in den Bundestag.<br />

Es wäre unfair zu sagen, dass Merkels<br />

Flüchtlingspolitik parteitaktischen Motiven<br />

gefolgt sei. Aber sie komplettierte das Bild<br />

einer CDU, die sich um das rechte Spektrum<br />

nicht mehr kümmert, das Bild einer<br />

Partei, die sich von sich selbst entfernt.<br />

Merkel hat die CDU inzwischen so entkernt,<br />

dass die Konsequenzen weit über<br />

die Partei hinausreichen. Es war ja nicht<br />

nur die SPD, die in den vergangenen zwölf<br />

Jahren dramatisch schrumpfte. Bei der<br />

Bundestagswahl stieg die AfD in manchen<br />

Gegenden Ostdeutschlands zur neuen<br />

Volkspartei auf, in Sachsen überholte sie<br />

sogar die CDU, weshalb Ministerpräsident<br />

Stanislaw Tillich in dieser Woche seinen<br />

Rücktritt erklärte. In Bayern wird die CSU<br />

ihre Sonderstellung verlieren, wenn die<br />

AfD dauerhaft stark bleibt. Ohne die absolute<br />

Mehrheit ist sie nur noch eine „CDU<br />

in Lederhose“, wie der ehemalige Bundesinnenminister<br />

Hans-Peter Friedrich sehr<br />

anschaulich sagte.<br />

Die Stabilität der Bundesrepublik beruhte<br />

immer auf der Stärke der beiden<br />

Volksparteien. Die Polarität zwischen<br />

SPD und Union sorgte dafür, dass weite<br />

Teile der Wähler eine politische Heimat<br />

fanden. Merkels Ansatz ist es, diese Polarität<br />

aufzuheben, sie will eine große politische<br />

Partei der Mitte schaffen, die umspült<br />

wird von den Radikalen von links<br />

und rechts. Das hat allerdings seinen<br />

Preis.<br />

Das große Verdienst der Volksparteien<br />

war immer, dass sie den Rahmen für einen<br />

zivilen Diskurs schufen. Es war über Jahrzehnte<br />

ihr Anspruch, auch jene Wähler zu<br />

halten, die mit dem Radikalen flirten, ihm<br />

aber nicht verfallen. Das bröckelte zuerst<br />

auf der linken Seite des politischen Spektrums,<br />

als Gerhard Schröder die Agenda<br />

2010 umsetzte und sich dabei kaum die<br />

Mühe machte, seinen Wählern die Reformen<br />

zu erklären. Die Folge war der Aufstieg<br />

der Linkspartei. Nun gibt es mit der<br />

AfD ein rechtes Pendant.<br />

Die CDU ist unter Merkel zu einer Partei<br />

geworden, gegen die kein aufgeklärter<br />

Mensch etwas sagen kann: Sie ist für die<br />

Mülltrennung und gegen Atomkraftwerke,<br />

sie weist keinen Asylbewerber an der<br />

Grenze ab und hat ermöglicht, dass auch<br />

Schwule und Lesben heiraten dürfen. Generalsekretär<br />

Peter Tauber könnte mit seinem<br />

Hipsterbart jederzeit als Barista in einem<br />

Kreuzberger Café anheuern. Merkel<br />

hat die rechten Geister aus der CDU vertrieben;<br />

verschwunden sind sie deshalb<br />

nicht.<br />

Wenn es Merkels Ziel war, die deutsche<br />

Politik zu mäßigen, dann ist das gründlich<br />

misslungen. Mit der AfD wird deutlich,<br />

was passiert, wenn das zivilisierende Korsett<br />

der Volkspartei entfällt. Unsagbares<br />

wird plötzlich sagbar, das rohe Ressen -<br />

timent kehrt zurück: Alexander Gauland,<br />

einst braver Chef der hessischen Staatskanzlei,<br />

nennt Merkel eine Diktatorin und<br />

würdigt die Leistungen der deutschen Soldaten<br />

im Zweiten Weltkrieg. Die AfD ist<br />

die hässliche, braune Kehrseite der durch<br />

und durch aufgeklärten Merkel-CDU.<br />

Was nun? Merkel weigert sich, die CDU<br />

wieder ein Stück weiter nach rechts zu<br />

schieben, auch weil es wie das Eingeständnis<br />

eines Fehlers wirken würde. Merkel<br />

geht es jetzt um die Verteidigung ihres Erbes,<br />

und kein CDU-Chef hat die Partei so<br />

weit in die Mitte geführt. Das ist ihr Vermächtnis.<br />

Merkel will sich dafür genauso<br />

wenig entschuldigen wie Gerhard Schröder<br />

für seine Agenda. Es geht jetzt auch<br />

ums Rechthaben.<br />

Inzwischen gibt es in Europa etliche<br />

Parteien, die keinen eigenen inhaltlichen<br />

Kern mehr haben, sondern nur noch dazu<br />

da sind, ihren Spitzenkandidaten zu tragen.<br />

Die ÖVP des Sebastian Kurz gehört<br />

dazu, auch Emmanuel Macrons Bewegung<br />

„En Marche!“ in Frankreich. Beide sind<br />

auf ihre Weise erfolgreich, allerdings vollkommen<br />

abhängig von der Person an der<br />

Spitze. Die CDU ist immer gut damit<br />

gefahren, sich nicht ganz dem Vorsitzenden<br />

auszuliefern. Auch das hat Merkel<br />

geändert.<br />

■<br />

DER SPIEGEL 43/ 2017<br />

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