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20171020-Der_Spiegel_Nachrichtenmagazin

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Houellebecq beim SPIEGEL-Gespräch*: „Die deutschen Autoren sollten sich dem erotischen Roman zuwenden“<br />

TIM WEGNER / DER SPIEGEL<br />

nach der Niederlage von 1871 so. Sie sind<br />

sich des Umstands bewusst, nicht ernsthaft,<br />

nicht tüchtig genug zu sein. Sie erleben<br />

sich als dem lateinischen Raum zugehörig,<br />

also als zweitklassig.<br />

SPIEGEL: Aber lateinisch sind sie doch auch!<br />

Houellebecq: Darüber kann man streiten.<br />

Die Franzosen sehen sich seit einigen Jahren<br />

als kaum besser als die Griechen.<br />

Frankreich ist zwischen dem Norden und<br />

dem Süden Europas hin und her gerissen.<br />

Kein ausgeglichenes Land. Zerknirschung<br />

und Prahlerei liegen nah beieinander.<br />

SPIEGEL: In der Kultur ist der Auftritt ziemlich<br />

glanzvoll, wie man gerade auf der<br />

Frankfurter Buchmesse feststellen konnte.<br />

Houellebecq: Die Literatur ist aber nicht<br />

das wichtigste Anliegen für die Mehrheit<br />

der Bevölkerung. Viele Länder sind stolz<br />

auf ein nationales Schmuckstück. Nehmen<br />

Sie die Automobilindustrie. Es ist so,<br />

dass ein Franzose, der Geld hat, ich zum<br />

Beispiel, kaum ein französisches Auto<br />

kaufen wird. Was würde geschehen, wenn<br />

die deutsche Autoindustrie zusammen -<br />

bräche?<br />

SPIEGEL: Eine nationale Katastrophe!<br />

Houellebecq: Und eine der nationalen Moral<br />

obendrein, weil sie ein Symbol deutscher<br />

Tüchtigkeit ist und daher an das<br />

Selbstwertgefühl rührt. Die Amerikaner<br />

können es sich dagegen leisten, ihre Autohersteller<br />

in die Zweitklassigkeit absinken<br />

zu lassen.<br />

122 DER SPIEGEL 43 / 2017<br />

SPIEGEL: In Ihren Romanen, in „Karte und<br />

Gebiet“ oder „Unterwerfung“, beschreiben<br />

Sie liebevoll die schönen deutschen<br />

Limousinen und SUVs, die Ihr Erzähler<br />

fährt. Haben PS-starke deutsche Autos es<br />

Ihnen angetan?<br />

Houellebecq: Ich habe ja eine Ingenieursausbildung.<br />

Ich fahre gern Auto, die französischen<br />

Autobahnen sind ausgezeichnet,<br />

die deutschen inzwischen weniger. Aber<br />

was ich eigentlich sagen will: Es gibt bestimmte<br />

nationale Symbole, die kein Land<br />

fallen lassen würde. Dazu gehört für die<br />

USA die kulturelle Vorherrschaft. Eher<br />

würden sie das Silicon Valley zusammenbrechen<br />

lassen oder an China verscherbeln<br />

als Hollywood. Man kann den Amerikanern<br />

vieles vorwerfen, aber entgegen allen<br />

gängigen Vorurteilen wissen sie um die hegemoniale<br />

Bedeutung der Kultur. So seltsam<br />

es ist, die europäischen Länder, die<br />

so stolz auf ihre alte Kultur sind, scheinen<br />

sie manchmal zu vergessen.<br />

SPIEGEL: In der Literatur kann Europa doch,<br />

anders als im Film, ganz gut mithalten?<br />

Houellebecq: Haben Sie den Auftritt eines<br />

Erfolgsautors wie Dan Brown auf der<br />

Buchmesse erlebt? Was für ein Aufwand,<br />

was für eine Bugwelle! Die Europäer lesen<br />

ihre jeweiligen nationalen Autoren und ansonsten<br />

überwiegend Übersetzungen aus<br />

* Mit dem Redakteur Romain Leick in einem Hotelzimmer<br />

in Frankfurt am Main.<br />

dem Englischen. Sie lesen einander zu<br />

wenig. Aber ganz sicher wird es Europa<br />

nicht geben, wenn es keine europäische<br />

Kultur gibt. Und der europäischen Kultur<br />

geht es derzeit nun einmal nicht sonderlich<br />

gut.<br />

SPIEGEL: Die USA haben begriffen, was für<br />

ein Machtmittel die Kultur ist?<br />

Houellebecq: Die amerikanische Kultur<br />

hat zum Zusammenbruch des Sowjetkommunismus<br />

mehr beigetragen als der Rüstungswettlauf<br />

des Kalten Kriegs oder die<br />

Verlockungen der Konsumgesellschaft.<br />

Wenn zu Gorbatschows Zeiten amerikanische<br />

Filme anliefen, bildeten sich endlose<br />

Warteschlangen vor den Kinos in<br />

Russland.<br />

SPIEGEL: Könnte die amerikanische, überhaupt<br />

die westliche Kultur auch über den<br />

Islam triumphieren?<br />

Houellebecq: Es ist meine tiefe persönliche<br />

Überzeugung, dass eine Religion, ein wahrer<br />

Glaube, sehr viel mächtiger in der Wirkung<br />

auf die Köpfe ist als eine Ideologie.<br />

<strong>Der</strong> Kommunismus war eine Art falsche<br />

Religion, ein schlechter Ersatz, kein wahrer<br />

Glaube, obwohl er sich so inszenierte,<br />

mitsamt einer eigenen Liturgie. Eine Religion<br />

ist sehr viel schwieriger zu zertrümmern<br />

als ein politisches System. Die Religion<br />

hat eine Schlüsselfunktion in der Gesellschaft<br />

und für deren Zusammenhalt,<br />

sie ist ein Motor der Gemeinschaftsbildung.<br />

<strong>Der</strong> Islam wird widerstehen.

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