Meinung Jan Fleischhauer <strong>Der</strong> schwarze Kanal Mit Rechten leben Ich wünschte, Fritz Teufel wäre zurück. Ich hätte nie gedacht, dass ich die Achtundsechziger einmal vermissen würde, aber so ist es. Für alle, die nach 1980 geboren wurden und nicht wissen, von wem ich rede: Fritz Teufel war Mitbegründer der Kommune 1, einer der Keimzellen der Studentenbewegung, und Erfinder der „Spaßguerilla“, die vor 50 Jahren durch ihre Provokationen die Zeitgenossen in Atem hielt. Berühmt wurde Teufel durch einen Auftritt in einer Talkshow, bei dem er eine Pistole gegen den Finanzminister richtete. Es war zum Glück nur eine Wasserpistole. Wie ich auf Teufel komme? Ich war vergangene Woche auf der Buchmesse in Frankfurt. Über 7000 Verlage hatten sich angemeldet. Salman Rushdie war da, Dan Brown, Margaret Atwood. Aber das eigentliche Thema der Messe war der Auftritt des Antaios Verlags, eines Kleinstverlags aus Sachsen-Anhalt, der sich auf rechte Erweckungsliteratur spezialisiert hat. Am ersten Messetag rückten mehrere Mitglieder des Börsenvereins an und hielten Plakate gegen „Rassismus“ hoch. <strong>Der</strong> Frankfurter Oberbürgermeister verteilte vor dem Stand Flyer, die für die Aktion „Mut – Mutiger – Mund auf“ warben. Eine Lesung endete im Tumult, als Demonstranten zu schreien anfingen. Mich erinnerten die Protestler an Nonnen, die sich vor Kinos aufstellen, in denen unzüchtige Filme gezeigt werden. Selbst gemalte Plakate, die man in die Höhe reckt, Kittihawk um das Böse zu vertreiben, und wenn einem gar nichts mehr einfällt, fängt man zu kreischen an? Wenn ich ein Linker wäre, würde ich mich schämen, ehrlich. Vielleicht ist es unvermeidlich, dass eine Bewegung an Agilität einbüßt, wenn sie in die Jahre kommt. Man kann sich auch geistig einen Bauchansatz zulegen, wie sich zeigt. Wer zu lange an der Macht ist, gewöhnt sich daran, dass er das Sagen hat, das macht träge. Die Wahrheit ist, dass die Leute vom Antaios Verlag mehr von Fritz Teufel und der Spaßguerilla gelernt haben als die kreuzbraven Gestalten, die ihm und seinen Genossen politisch nachfolgten. Heute sind es die Rechten, die mit ihren Provokationen die Öffentlichkeit aufschrecken. Dabei reicht oft schon ein Wort, und alle drum herum fallen in Ohnmacht oder rufen vor Schreck „Nazi, Nazi“. Wenn man keine echten Nazis zur Hand hat, nimmt man eingebildete. Am Samstag machte die Nachricht die Runde, der Frankfurter Stadtverordnete Nico Wehnemann von der Spaßpartei „Die Partei“ sei auf der Messe zusammengeschlagen worden, weil er gegen die Büchernazis protestiert habe. Wie sich herausstellte, war Wehnemann beim Versuch, eine Absperrung zu durchbrechen, von einem Sicherheitsmann zu Boden gebracht worden. Nicht einmal die Wasserpistole, mit der man früher Finanzminister erschreckte, funktioniert noch richtig. Es wird wirklich Zeit, dass der Geist von Fritz Teufel wieder in die Linke fährt. An dieser Stelle schreiben Jakob Augstein, Jan Fleischhauer und Markus Feldenkirchen im Wechsel. Im Zentrum der Macht So gesehen Alle wollen Bundestagsvizepräsident werden. Ich muss zugeben, es gibt in der Berliner Politik ein Amt, dessen Bedeutung ich bisher krass unterschätzt habe: das des Bundestagsvizepräsidenten. Ich hatte es immer für ein ehrenvolle, aber doch eher zeremonielle Aufgabe gehalten, als einer von sechs Stellvertretern des Bundestagspräsidenten hin und wieder eine Sitzung des Parlaments zu leiten. Aber so kann man sich irren. Diese Woche hat mir gezeigt, dass der Job tatsächlich im Zentrum des Berliner Macht - pokers steht: heiß begehrt, leidenschaftlich umkämpft und ein zentraler Bau stein im innerparteilichen Posten - geschacher. Die FDP zum Beispiel ist personell eher schwach aufgestellt. Sie hat genau zwei Politiker, denen man bisher ein Spitzenamt in Berlin zutraute. Und raten Sie mal: einer von ihnen wird Bundestagsvize. Das zeigt doch, welch überragende Bedeutung Parteichef Christian Lindner dem Amt beimisst. Ich hoffe nur, dass Wolfgang Kubicki das auch so sieht. Bei der SPD ist es andersrum: Da gibt es zu viele Spitzenpolitiker für die paar Posten, die eine abgewählte Regierungspartei zu vergeben hat. Deshalb ist um die Vizepräsidentschaft ein Wettstreit entbrannt, wie ihn die Partei lange nicht mehr erlebt hat. Es wird eine Kampfkandidatur dreier Spitzensozis geben. Drei! Die Schicksalszahl der Sozialdemokratie, wie oft konkurrierten drei um die Macht. Und jetzt: Kanzlerkandidat wollte keiner werden, aber Bundestagsvizepräsident, das wollen sie alle. Christiane Hoffmann 10 DER SPIEGEL 43 / 2017
ENTDECKEN beginnt hier R I C H M O N D JACKET leichtgewichtige Daune / warme Wattierung / winddicht / verstärkte Schultern Outdoor Performance mit Style. jack-wolfskin.com