20171020-Der_Spiegel_Nachrichtenmagazin
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Ausland<br />
stärkste Partei einen Regierungsauftrag<br />
und muss sich Koalitionspartner suchen.<br />
Für mich gibt es zwei theoretische Partner.<br />
Es ist theoretisch auch möglich, dass die<br />
SPÖ versucht, an der Macht zu bleiben,<br />
indem sie mit der FPÖ eine Koalition gegen<br />
den Wahlgewinner eingeht.<br />
SPIEGEL: Ist die FPÖ für Sie eine ganz normale<br />
Partei? Auch mit dem Parteivorsitzenden<br />
Strache, der sogar Jörg Haider zu<br />
brachial war?<br />
Kurz: Parteien sind unterschiedlich. Ich<br />
habe mit 17 Jahren begonnen, mich politisch<br />
zu engagieren. Ich habe eine ganz<br />
klare Haltung und eine ideologische Festigung.<br />
In einer Demokratie gibt es aber<br />
nicht nur die eigene Meinung. Im österreichischen<br />
Parlament gibt es fünf Parteien,<br />
die alle demokratisch gewählt wurden und<br />
dadurch ihre Berechtigung haben.<br />
SPIEGEL: Sie kennen sicherlich die Bilder<br />
von Strache, der in seiner Jugend in militärischer<br />
Kleidung durch die Wälder streifte.<br />
Er hat lange Beziehungen zur rechten<br />
Szene. Schaudert es Sie nicht, so jemanden<br />
zum Vizekanzler zu machen?<br />
Kurz: Ich kenne die Bilder. Ich glaube, sie<br />
sind in einer Zeit entstanden, als ich noch<br />
nicht einmal auf der Welt war.<br />
SPIEGEL: Das ändert ja nichts.<br />
Kurz: Die Wählerinnen und Wähler haben<br />
das Recht, eine Entscheidung zu treffen.<br />
Sie können sich nicht falsch entscheiden.<br />
Wir sind der klare Wahlgewinner, als proeuropäische<br />
Kraft der Mitte – und es gibt<br />
zwei etwa gleich starke Parteien auf dem<br />
zweiten und dritten Platz.<br />
SPIEGEL: <strong>Der</strong> Wähler kann natürlich wählen,<br />
wie er will. Sie müssten aber nicht mit<br />
einer Partei koalieren, die stark auf Fremdenfeindlichkeit<br />
setzt.<br />
Kurz: Es ist meine Entscheidung, mit wem<br />
ich koaliere, dessen bin ich mir bewusst.<br />
Deshalb werde ich auch Gespräche führen<br />
und versuchen, eine stabile Regierung zum<br />
Wohle unseres Landes zu bilden.<br />
SPIEGEL: Gibt es für Sie rote Linien? Was<br />
ist für Sie nicht verhandelbar?<br />
Kurz: Definitiv gibt es die. Nicht nur nach<br />
rechts, sondern auch nach links. Ich würde<br />
es aber für unangebracht halten, Regierungsverhandlungen<br />
über das deutsche<br />
Politikmagazin DER SPIEGEL zu starten.<br />
Ich bitte Sie da um Ihr Verständnis. Wenn<br />
man in einer Regierung ordentliche Arbeit<br />
für das eigene Land leisten möchte, muss<br />
man mit einem Partner Vertrauen aufbauen<br />
und sich auf Projekte einigen. Wer über<br />
Medien unzählige Bedingungen aufstellt,<br />
wird das nicht tun können.<br />
SPIEGEL: In Deutschland ist das CDU-Präsidiumsmitglied<br />
Jens Spahn ein großer Unterstützer<br />
Ihrer Politik. Er war auch auf<br />
Ihrer Wahlparty. Was schätzen Sie an ihm?<br />
Kurz: Ich habe mich sehr gefreut, dass er<br />
am Wahlabend als Vertreter unserer<br />
Schwesterpartei anwesend war. Ich schätze<br />
Kurz, SPIEGEL-Redakteure*<br />
„Ich habe eine ideologische Festigung“<br />
ihn wegen seiner klaren Haltungen, die er<br />
auch klar artikuliert. Politiker sind oft nicht<br />
so klar, wie sie es gerne wären, aus Sorge<br />
vor negativen Folgen. Gerade als Außenminister<br />
gilt es auch mal, diplomatisch zu<br />
sein. Ich halte ihn für einen Visionär und<br />
Vordenker, habe aber auch zu vielen anderen<br />
in der CDU und CSU ein gutes Verhältnis,<br />
etwa zu Wolfgang Schäuble oder<br />
Ursula von der Leyen. Und ich habe mich<br />
sehr gefreut, dass Angela Merkel mich am<br />
Wahlabend als Erste angerufen hat, um<br />
mir zu gratulieren, und freue mich auf die<br />
Zusammenarbeit mit ihr.<br />
SPIEGEL: Würden Sie Jens Spahn gern als<br />
Bundeskanzler sehen, wenn Merkel mal<br />
nicht mehr will?<br />
Kurz: Es gibt in Deutschland mit Angela<br />
Merkel eine Kanzlerin, eine der erfahrensten<br />
Politikerinnen Europas, die es geschafft<br />
hat, das vierte Mal in Folge eine Wahl zu<br />
gewinnen. Sie hat ein tolles Team, mit Persönlichkeiten<br />
wie Jens Spahn und anderen,<br />
die natürlich in ihrem Leben noch alles erreichen<br />
können.<br />
SPIEGEL: Als Sie 2016 die Schließung der<br />
Westbalkanroute vorbereitet haben, zum<br />
Teil hinter dem Rücken Merkels, hatten<br />
Sie da Kontakt zu CDU-Politikern?<br />
Kurz: Wir haben immer einen guten Kontakt<br />
zwischen Österreich und Deutschland<br />
gehabt, auch wenn wir in der Migrationsfrage<br />
nicht immer einer Meinung waren.<br />
SPIEGEL: In der CDU wird über Ihre Person<br />
ein Richtungskampf ausgetragen. <strong>Der</strong> rechte<br />
Flügel sucht Ihre Nähe. Viele finden:<br />
Lass uns mehr Kurz wagen.<br />
Kurz: Ich habe in der Migrationsfrage eine<br />
klare Haltung. Aber es gibt auch andere<br />
Themen als nur die Migration – da bin ich<br />
dann wieder mit anderen in der CDU einig.<br />
So ist das in der Politik.<br />
SPIEGEL: Angela Merkel und die Union haben<br />
die Bundestagswahl gewonnen, aber<br />
mehr als acht Prozent der Stimmen verloren.<br />
Woran lag das aus Ihrer Sicht?<br />
Kurz: Die Union hat bei dieser Wahl 33 Prozent<br />
erreicht, ich habe bei uns 31,5 Prozent<br />
erreicht. Das ist für uns ein extrem hohes<br />
Ergebnis. Wenn die Union von jemandem<br />
Tipps braucht, dann sicher nicht von Par-<br />
* Walter Mayr, Markus Feldenkirchen und Mathieu von<br />
Rohr in Wien.<br />
JORK WEISMANN / DER SPIEGEL<br />
teien, die schlechtere Ergebnisse erzielt<br />
haben.<br />
SPIEGEL: Was war aus Ihrer Sicht wichtiger<br />
für das Ende der Flüchtlingskrise 2016: Die<br />
Schließung der Balkanroute, die Sie vorangetrieben<br />
haben, oder das von Merkel favorisierte<br />
EU-Abkommen mit der Türkei?<br />
Kurz: Beides hat gewirkt, beides war sinnvoll.<br />
Jede Maßnahme, die dazu beiträgt,<br />
illegale Migration zu stoppen und Hilfe<br />
vor Ort zu stärken, ist eine gute Maßnahme.<br />
Es hat sich in den letzten Monaten auf<br />
europäischer Ebene Gott sei Dank vieles<br />
in die richtige Richtung entwickelt, die Italiener<br />
haben ihre Politik massiv verändert.<br />
Es ist aber eine fatale Fehleinschätzung,<br />
wenn manche nun glauben, die Migra -<br />
tionsfrage sei gelöst und man könne sich<br />
zurücklehnen. Die Zahlen sind zwar etwas<br />
niedriger als in den Vorjahren, aber immer<br />
noch zu hoch, und der Migrationsdruck<br />
wird nicht nachlassen.<br />
SPIEGEL: Was fordern Sie?<br />
Kurz: Wir müssen auf europäischer Ebene<br />
massiv dafür kämpfen, illegale Migration<br />
zu stoppen. Wir müssen ein vollkommen<br />
neues Frontex-Mandat schaffen, einen gemeinsamen<br />
Außengrenzschutz aufbauen,<br />
bei dem die Italiener und Griechen nicht<br />
alleingelassen werden. In Österreich sind<br />
wir bereit, mit Polizei und Soldaten unseren<br />
Beitrag zu leisten.<br />
SPIEGEL: Im Wahlkampf haben Sie davon<br />
gesprochen, die Mittelmeerroute zu schließen.<br />
Wie soll das gehen?<br />
Kurz: Wir müssen klarstellen: Wer sich il -<br />
legal auf den Weg macht, wird kein Asyl in<br />
Europa bekommen. Wir sollten Menschen<br />
an der EU-Außengrenze retten, versorgen<br />
und zurückstellen in die Herkunfts- und<br />
Transitländer. Wir sollten Menschen ausschließlich<br />
über Resettlement-Programme<br />
aufnehmen und die Hilfe vor Ort ausbauen.<br />
SPIEGEL: Wie soll das funktionieren? Sie<br />
wollen die Boote stoppen und die Insassen<br />
in Libyen wieder ausladen?<br />
Kurz: Zunächst müssen wir besser mit der<br />
libyschen Küstenwache kooperieren, damit<br />
die Menschen sich gar nicht auf den Weg<br />
machen und die Schiffe nicht ablegen können.<br />
Sobald jemand gerettet wird, darf er<br />
nicht aufs italienische Festland gebracht<br />
werden. Wenn die Menschen nicht zurückgebracht<br />
werden können, dann sollen sie<br />
in sichere Zentren, wo sie Schutz und Versorgung<br />
bekommen, aber nicht das bessere<br />
Leben in Europa. Wenn wir ihnen das ermöglichen,<br />
machen sich immer mehr Menschen<br />
auf den Weg.<br />
SPIEGEL: Was war auf dem Höhepunkt der<br />
Flüchtlingskrise 2015 der Fehler der deutschen<br />
Bundeskanzlerin?<br />
Kurz: Es geht nicht um den Fehler der deutschen<br />
Bundeskanzlerin. Es gab in Europa<br />
viele, die für eine falsche Politik eingetreten<br />
sind: eine Politik der offenen Grenzen.<br />
Die hatten den Glauben, dass jeder, der<br />
86 DER SPIEGEL 43 / 2017