Gesellschaft Franziskas Grab Täuschungen 24 Jahre lang versteckt ein Mann die Leiche seiner Frau in einem Fass. Dann gesteht er einen Totschlag, der aber längst verjährt ist. Die Geschichte eines ebenso bizarren wie perfekten Verbrechens. Von Maik Großekathöfer An die Polizei. In diesem Fass ist die Leiche meiner ehemaligen Frau Franziska Sander, geb 4.8.65.“ So beginnt, in kalter Klarheit, der Brief, den Jens K.* auf das Fass gelegt hat, in dem er seit 24 Jahren seine tote Frau verwahrt. <strong>Der</strong> Verfasser spricht seinen Adressaten direkt an, die Polizei, er hat sie längst erwartet. Den Brief schrieb er vor mehr als zehn Jahren, mit Kugelschreiber auf kariertem Papier. Jens K. fährt fort: „Sie hat sich am 10.2.1992 selbst das Leben genommen. Sie hat sich mit Paketband an einem Haken in unserer damaligen Wohnung erhängt. Ich habe sie trotz ihrer ständigen Depressionen sehr geliebt, habe den Wunsch verspürt ihr zu folgen.“ <strong>Der</strong> Brief, drei gefaltete Seiten, steckt unter einem Stück Pappe, das K. auf das Fass geklebt hat, auf das Grab seiner Frau. Neben dem Schreiben stehen in großer Schrift die Worte „Faß enthält LEI- CHE“ auf der Pappe, darunter das Wort „Polizei“ und ein Pfeil, der zum Brief zeigt. <strong>Der</strong> schwarze Marker, den K. für diesen überdeutlichen Hinweis benutzt hat, liegt noch auf dem Fass, als die Ermittler alles finden. K. schreibt: „Nach einer Woche habe ich allen Mut zusammen genommen, sie in diesem Fass beerdigt, mein Leben neu begonnen. Ich habe Kinder, welche ich mit einer anderen Frau nach dem Tod gezeugt habe. Ich liebe diese über alles, sie sollen NIE den Eindruck bekommen müssen, ihr Vater sei ein Mörder, dieses ist nicht so!“ Mit dem Fund der Leiche von Franziska Sander am 13. September des vergangenen Jahres in einer Stadt in Schleswig-Holstein findet nicht nur die 24 Jahre dauernde Ungewissheit ihrer Angehörigen ein Ende, ihres Bruders, ihrer drei Schwestern. Als die Beamten das Tor zur Garage öffnen, in der das Fass versteckt war, kommt auch einer der seltsamsten Fälle der jüngeren deutschen Kriminalgeschichte ans Licht. Die Ermittlungsakte umfasst 13 Bände, fast 1400 Seiten, die eine Geschichte er- * Namen geändert. 54 DER SPIEGEL 43 / 2017 zählen von Lügen, Eifersucht und Schweigen. Zum Vorschein kommt aber auch eine Reihe von Verfahrensmängeln, Verzögerungen und Fehleinschätzungen auf allen Seiten. Mehr aus Nachlässigkeit denn aus Raffinesse konnte aus dem Fall Franziska Sander die Geschichte eines perfekten Verbrechens werden, eines Verbrechens jedenfalls, das ohne Sühne bleibt. Denn Jens K., der Ex-Mann und mutmaßliche Täter, ist frei, er lebt mit seiner Familie in einem Haus an einer Pferdekoppel. Ein Mord ist ihm nicht nachzuweisen, ein Totschlag gilt als hochwahrscheinlich. Aber Totschlag verjährt nach 20 Jahren. Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll von jenem 13. September 2016: Die Beamten fragen Jens K., was er gemacht habe, nachdem er seine Frau angeblich erhängt in der Wohnung fand. Jens K.: „Ich habe Franziska in einem Fass verpackt und das Fass zugeschweißt. Ich kann Ihnen zeigen, wo das Fass ist.“ Polizist: „Wo ist das?“ „Hier. Ich habe eine Garage angemietet.“ „Ist das Fass immer mit umgezogen?“ „Ja. Das sollte meine Versicherung sein, damit ich beweisen kann, dass ich ihr nichts getan habe. Ich habe noch nie jemanden geschlagen oder einem Gewalt angetan.“ Als sie sich kennenlernen, 1982 in Hannover, ist Jens K. 18 und Franziska Sander 17 Jahre alt, eine Teenagerliebe. Sie ist vom Land hergezogen, besucht eine Fachoberschule für Gestaltung, wohnt in einem katholischen Mädchenwohnheim. Er schließt eine Lehre zum Außenhandelskaufmann ab, später lässt er sich zum Erzieher ausbilden. 1985 verloben sie sich und ziehen zusammen, zwei Zimmer, Küche, Bad. Drei Jahre später heiraten sie. Ein vergilbtes Hochzeitsfoto, das bei den Akten liegt, zeigt eine hübsche, junge Frau mit Fransenschnitt, Pausbacken, weißer Rüschenbluse und breitem Lächeln; neben ihr, ebenso glücklich lächelnd, ein junger Mann mit Vokuhila, Schulterpolsterjackett und dünnem Schlips. Er ist jetzt 24, sie 23 Jahre alt, ein unauffälliges, kleinbürger - liches Ehepaar irgendwo in Deutschland mit unbekannten Träumen. 13. September 2016. Noch am Tag der Vernehmung gehen die Kriminalbeamten gemeinsam mit Jens K. zum Garagenhof, wo er die Leiche deponiert haben will, und öffnen das Tor Nummer elf. Sie sehen ein großes Durcheinander, eine Schubkarre, einen Autositz, eine Schleifmaschine. In der hinteren rechten Ecke, verborgen hinter drei Autoreifen, unter Tüten, Teppichresten, Müll und blauer Plane, steht eine Sackkarre. Darauf, festgebunden mit zwei Spanngurten: das Fass. Am nächsten Morgen lässt der Rechtsmediziner in Hannover das Fass vermessen und wiegen. 87,5 Zentimeter hoch, 60 Zentimeter Durchmesser, 134 Kilogramm. Zwei Mitarbeiter in weißen Schutzanzügen öffnen es mit einer elektrischen Blechschere. Das Fass ist bis zum Rand mit Katzenstreu gefüllt. K. sagt später, er habe damit verhindern wollen, „dass der Körper sich in dem Fass frei bewegt“. Katzenstreu bindet Flüssigkeit und neutralisiert Gerüche. Als die Mediziner das Substrat mit einem Kehrblech nach und nach entfernen, kommen etliche Gegenstände zum Vorschein, die Jens K. seiner Frau offenbar als Grabbeigaben zugedacht hatte, Dinge, die eine Rolle gespielt haben müssen in ihrem gemeinsamen Leben: ein Kuscheltier, ein vertrockneter Blumenstrauß, ein gestreiftes Kopfkissen. Eine Kette mit einem Anhänger in Form eines Mondes. Ein roter Bilderrahmen mit einem Hochzeitsfoto. Eine Zimtstange, Gerstenähren, zwei lilafarbene Stiefeletten. Ein Kinderbuch mit dem Titel „Bigu, das kleine Igelchen mit den Locken“. Was die Forensiker zu Gesicht bekommen, erinnert an ein Indianergrab. Schließlich finden sie, verpackt in einem Müllsack, die zusammengeschnürte Leiche der Franziska Sander. Man weiß nicht viel darüber, was für eine Beziehung die Eheleute in den frühen Neunzigern geführt haben. Die Angaben darüber sind widersprüchlich, sie stammen einerseits von Jens K. und andererseits von Franziskas Bruder Hubertus Sander. Jens K. sagt, seine Frau habe nie selbst arbeiten und „keinen Kontakt zu ihrer
Fass in der Rechtsmedizin in Hannover, späteres Opfer Sander um 1985 CHRISTIAN ASLUND / DER SPIEGEL DER SPIEGEL 43 / 2017 55