FreeLounge, Ausgabe 4/2010 - Freizeit und Spiel
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Leise beobachten die Kinder mit ihren Lehrern<br />
einen Vogel beim Nestbau in „ihrem Wald“ –<br />
der Industriewald Rheinelbe in Gelsenkirchen<br />
Ückendorf. Ein außerschulischer Erlebnisraum<br />
für Kinder hat sich durch eine neue Funktionszuweisung<br />
der ehemaligen Brachfl äche der<br />
Zeche Rheinelbe entwickelt. Es ist ein gelungenes<br />
Beispiel, wie Schulkinder spielerisch an<br />
Themen wie ökologische Zusammenhänge <strong>und</strong><br />
Umweltschutz herangeführt werden. Der Landesbetrieb<br />
Wald <strong>und</strong> Holz Nordrhein-Westfalen<br />
<strong>und</strong> die Forststation Rheinelbe in Gelsenkirchen<br />
haben eine praxisorientierte Lernmöglichkeit,<br />
die die Bewegungs- <strong>und</strong> Entdeckungsbedürfnisse<br />
der Kinder befriedigt, geschaffen. Der<br />
Wald ist für die Bevölkerung <strong>und</strong> deren Kinder<br />
geöffnet worden <strong>und</strong> wird entweder auf eigene<br />
Faust, bei geführten Spaziergängen oder<br />
im Rahmen des Schulunterrichts erk<strong>und</strong>et. Ein<br />
weiteres Beispiel für „city woodlands“ ist die<br />
urbane Mischwaldlandschaft für die Bewohner<br />
in Halle-Silberhöhe. Durch eine temporäre<br />
Zwischennutzung von Brachfl ächen mit einer<br />
großfl ächigen Aufforstung, einer Pfl anzung einer<br />
Wildobstwiese, Kurzumtriebsplantagen mit<br />
Balsampappeln <strong>und</strong> der Aussaat einer Wildblumenwiese<br />
wurde ein Naherholungsgebiet für<br />
die angrenzenden Stadtquartiere geschaffen.<br />
Auf dem Internationalen Gartengelände am<br />
Funkturm in Gießen verwandelte sich ein altes<br />
amerikanisches Kasernengelände durch Bürger-<br />
<strong>und</strong> Kinderbeteiligung in ein Paradies. Auf<br />
einem Hektar Fläche zwischen Mehrfamilienhäusern<br />
beteiligen sich Bürger <strong>und</strong> ihre Kinder<br />
aus 20 Nationen. Die Kinder haben die Pfl anzen<br />
selbst ausgesucht <strong>und</strong> die Verantwortung <strong>und</strong><br />
Pfl ege übernommen. Diese Arbeit beinhaltet<br />
jeden Freitag einen kontinuierlichen Einsatz<br />
<strong>und</strong> alle anfallenden Arbeiten werden je nach<br />
jahreszeitlichem Rhythmus durchgeführt – vom<br />
Anbau der Nutzpfl anzen bis zum Jäten <strong>und</strong> Bewässern,<br />
vom Einsäen bis zum Ernten <strong>und</strong> Einmachen.<br />
Diese demokratische Bürgerbewegung<br />
auf stadtplanerischer Ebene verläuft unaufhaltsam<br />
auch durch die deutschen Städte. Die<br />
Bereitschaft, sich an der Gestaltung der Wohnumwelt<br />
zu beteiligen, <strong>und</strong> die wahrgenommene<br />
Handlungsfreiheit, sich Brachfl ächen <strong>und</strong><br />
Baulücken anzueignen, führen zu einzigartigen<br />
Stadträumen.<br />
Die Werte unserer Gesellschaft prägen die Planung<br />
unserer Städte – <strong>und</strong> umgekehrt prägt<br />
das Stadtbild unser gesellschaftliches Beisam-<br />
mensein. Bei der Freigabe von Brachfl ächen zur<br />
Umwandlung in einen öffentlichen Freiraum<br />
werden die schlummernden Potentiale der<br />
Wohnumwelt geweckt, eine gesellschaftliche<br />
Entwicklung in Gang gesetzt <strong>und</strong> der Beteiligungswunsch<br />
der Bewohner <strong>und</strong> ihrer Kinder<br />
erfüllt. Kinder, die in den Beteiligungsprozess<br />
einer stadtplanerischen Gestaltung ihrer<br />
Wohnwelt einbezogen werden, partizipieren<br />
an der Gesellschaft, identifi zieren sich mit ihrem<br />
„Platz“ <strong>und</strong> ihrer Wohnumwelt. Stolz, dass<br />
ihre Vorschläge umgesetzt worden sind, übernehmen<br />
sie die Verantwortung für ihre Stadt.<br />
Denn sie haben auf spielerischen Wegen erfahren,<br />
wie sie sich aktiv <strong>und</strong> demokratisch in die<br />
Gesellschaft einbringen können. Kinder können<br />
sich beteiligen <strong>und</strong> sie sind auch bereit, später<br />
die bürgerliche Gesellschaft mitzugestalten.<br />
Ein erlerntes, lebendiges <strong>und</strong> tolerantes Miteinander<br />
verhindert eine soziale Ausgrenzung.<br />
Zudem erhält das städtische Gefüge durch diese<br />
Metamorphose eine nachhaltige, lebendige<br />
Sozialstruktur, in der alles realisierbar ist. Der<br />
Zwischennutzung von Brachfl ächen <strong>und</strong> Baulücken<br />
muss ein größerer Stellenwert bei der Planung<br />
von menschen- <strong>und</strong> kostenfre<strong>und</strong>lichen<br />
Städten eingeräumt werden.<br />
Eine Stadt <strong>und</strong> eine Gesellschaft können nicht<br />
durch Passivität entstehen. Die Stadtbewohner<br />
<strong>und</strong> ihre Kinder brauchen dringend Befürworter<br />
der Zwischennutzung von Brachfl ächen <strong>und</strong><br />
Baulücken. Zukunftsorientierte Städte, aber<br />
auch mutige Privateigentümer müssen fl exible,<br />
städtische Erfahrungsräume für alle Altersgruppen<br />
schaffen <strong>und</strong> neue Impulse <strong>und</strong> Akzente im<br />
Stadtraum herbeiführen.<br />
Ruth Esther Gilmore<br />
Ruth Esther Gilmore<br />
Die Autorin verfasst zurzeit<br />
bei Prof. Dr. Barbara Zibell<br />
an der Fakultät Architektur<br />
<strong>und</strong> Landschaft an der Leibniz<br />
Universität Hannover <strong>und</strong> bei<br />
Prof. Dr. Jens Dangschat an der<br />
TU Wien ihre Dissertation über<br />
Innovative Wege einer kinderfre<strong>und</strong>lichen<br />
Stadtplanung in<br />
deutschen Städten.<br />
Gesellschaft | 51