Jaarboek Thomas Instituut 2006 - Thomas Instituut te Utrecht
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64 FRANS J.H. VOSMAN<br />
betrifft nicht nur zwischenmenschliche Beziehungen, sondern auch<br />
Beziehungen zwischen Gott und den Menschen und - urngekehrt<br />
gedacht - zwischen Menschen und Gott.<br />
An ers<strong>te</strong>r S<strong>te</strong>lle erkennt man, dass man zu der äl<strong>te</strong>ren,<br />
umfassenderen Definition von Gerechtigkeit zurückkehren muss.<br />
Otfried Höffe hat den Inhalt des klassischen Gerechtigkeitsbegriffs<br />
kompakt zusammengefasst: lebe ehrenhaft (hones<strong>te</strong> vive), tue<br />
niemandem Unrecht (neminem laede), gewährleis<strong>te</strong> jedem das Seine<br />
(cuique suum tribuere). Diese drei Grundsätze der Gerechtigkeit<br />
"besagen im wesentlichen dasselbe"." Es geht urn eine Tugend der<br />
Rechtschaffenheit mit einer negativen Bestimmung - keinem<br />
Unrecht zu tun - und einer positiven: jedem dasjenige zu geben, was<br />
ibm zus<strong>te</strong>ht. Auch in Verhältnissen der Ungleichheit, wie etwa<br />
zwischen Mensch und Gott - also vom Gesichtswinkel des<br />
Menschen aus betrach<strong>te</strong>t - geht es darum, Got<strong>te</strong>s Würde und die<br />
eigene menschliche Würde anzuerkennen. Höffe weist darauf hin,<br />
dass in der Moderne eine "Selbstbehauptung oder<br />
Selbstanerkennung" zum klassischen Verständnis der Gerechtigkeit<br />
hinzukommt. Nach Immanuel Kant verbie<strong>te</strong>t sich jede kleine und<br />
groûe Entwürdigung des Menschen, jede Handlung wo ein Mensch<br />
einen Anderen nur als Mit<strong>te</strong>l betrach<strong>te</strong>t oder er selbst als solches<br />
betrach<strong>te</strong>t wird.'<br />
1m Grunde geht es, so kann man dies zuerst einmal<br />
bestimmen, bei <strong>Thomas</strong> im Fall der religio urn passende<br />
Verhältnisse, id quod decet, zwischen Mensch und Gott und<br />
zwischen Menschen un<strong>te</strong>reinander, wobei die Beziehung Got<strong>te</strong>s zu<br />
den Menschen als die grundsätzliche gesehen wird. Ich un<strong>te</strong>rs<strong>te</strong>lle irn<br />
Folgenden, dass es unabkömmlich ist, diese passenden Verhältnisse,<br />
diese Schicklichkeit, für spätrnodeme Verhältnisse neu zu<br />
durchdenken und sie nicht als selbstverständlich darzus<strong>te</strong>llen. Sie<br />
waren das auch für <strong>Thomas</strong> nicht, und zwar nicht nur, weil auch er<br />
über religio disputiert und auctorita<strong>te</strong>s wie Augustin und Dionysius<br />
herbeifiihrt als seien es Zeitgenossen, sondern auch, weil er meint,<br />
seine ganze theologische Anthropologie ins Spiel bringen zu müssen.<br />
Die Tugend der religio vers<strong>te</strong>ht man in ihrer Schicklichkeit erst<br />
Gerechtigkeit in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, FreiburglBrsg. 1992,<br />
149-172, hier 150-153.<br />
4 O. Höffe, Gerechtigkeit, München 20042, 50-53, hier 50.<br />
s Ibid., 50-51.