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Die Anthropophagie. Eine ethnographische Studie

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Überlebsel im Volksglauben. 9<br />

Auch dämouisclie Verwandlungen werden durch den Genuß von<br />

Meuschenlleisch bewn-kt. So wird bei den Indern der Knabe Vijayadatta<br />

dadurch, daß ihm Menschenhirn an die Lippen spritzt, zum<br />

mörderischen, leichenzertieischenden Rakschasa ^ und nach dem<br />

Yolksghiuben im Braunschweigischen, muß jeder, der Menschenfleisch<br />

kostet, auf immer Menschenfresser werden. Bei Seesen ging ein<br />

Mädchen durch den Wahl, dem begegnete eine Menschenfresserin,<br />

die der Kleinen Wurst anbot. Da kam eine weiße Katze, die<br />

warnte das Mädchen, ja die Wurst nicht anzunehmen, denn sie war<br />

aus Menschenfleisch. <strong>Die</strong> Katze hängte hierauf die Würste an die<br />

Büsche, da kamen Raben und Wölfe und fraßen sie auf. Seit jener<br />

Zeit mögen Raben und Wölfe am liebsten Menschenfleisch. -<br />

Daß in der russischen Volkslitteratur Spuren vorhanden sind,<br />

die auf alte Menschenopfer und Kannibalismus hindeuten, hat<br />

WojEWODSKT nachzuweisen unternommen. Er führt ein Volkslied<br />

s^, in welchem ein Rätsel aufgegeben ist: Ein menschlicher Körper<br />

wird in seine Teile zerlegt und diese werden zu allerlei verbraucht,<br />

z. B. aus dem Blut wird Bier gebraut, aus dem Fette macht man<br />

Lichter u. dergl. Mit Rücksicht auf die einzelnen Teile werden<br />

einzelne Fragen vorgelegt, wie: Was ist das? Etwas Liebes brennt<br />

vor mir als Licht. Wojewodsky leitet die Entstehung jener Ge-<br />

dichte aus einer Zeit her, in welcher noch Kannibalismus herrschte.^<br />

Auch das russische Märchen von der schönen Wasilissa gehört<br />

hierher. Sie kommt zu einer Hexe, Baba-Jaga, welche im dichten<br />

Walde eine Hütte bewohnt. Der Zaun um die Hütte besteht aus<br />

Menschenknochen, auf denselben sind Menschenschädel befestigt, an<br />

der Thür statt der Pfosten Menschenbeine, statt der Riegel Hände;<br />

in der Nacht leuchten an den Schädeln die Augen u. s. w. Den<br />

knöchernen Schädeln Averden auch heute noch magische Wirkungen<br />

in Rußland zugeschrieben."*<br />

<strong>Die</strong> Märchen und Sagen der finnischen Völker im Innern des<br />

europäischen Rußland zeigen ebenfalls Anklänge an ehemalige<br />

Menschenfresserei. Ein wotjäkisches Märchen ° berichtet von dem<br />

schlauen Knaben Wanka, den eine Hexe durch ihre Tochter braten<br />

lassen will. <strong>Die</strong> Tochter befiehlt ihm sich auf die Schaufel zu<br />

^ Brockhavs, Somadeva. 142.<br />

- CoLSHORX, Märchen und Sagen. Hannover 1854. Xo. 8.<br />

^ Parallel läuft eine tscliechische Sage, mitgetlieilt von Gr. Krek, Einleitung<br />

in die slawische Litteraturgeschichte. Graz 1874. 265.<br />

* Nach einem Eeferat von L. Stieda im Archiv f. Anthropologie. XI. 348.<br />

= M. Buch, <strong>Die</strong> Wotjäken. Helsingfors 1882. 116.

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