Die Anthropophagie. Eine ethnographische Studie
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Mesayas. Miranhas. 8<br />
Schmause notwendige Geschirr herbei, und nach Mitternacht mußte<br />
der Miranha in seine Hütte gehen. Am nächsten Morgen wurde<br />
der Gefangene gerufen; sobald er aus der Hütte trat, erhielt er<br />
sofort mehrere Keulenschläge auf die Schläfe und sank leblos nie-<br />
der. Dann schnitt man ihm den Kopf ab, der auf eine Lanze ge-<br />
steckt und im Dorfe umhergetragen wurde; den Körper schleppte<br />
man zu den Kochkesseln, wo er zerlegt wurde; auch die Knochen<br />
wurden entzwei geschlagen, damit man das Mark genießen könne.<br />
Von dem Schlachtopfer durfte nichts übrig bleiben als der mit<br />
Farbe bemalte Kopf, der in der Hütte des tapfersten Kriegers als<br />
Trophäe aufbewahrt wurde. Aber was geschah unmittelbar nach<br />
dem Schmause? Alle Mesayas waren bemüht, das genossene Men-<br />
schenfleisch so rasch wie möglich wieder von sich zu geben; sie<br />
ekelten sich selber vor der abscheulichen Speise, und damit ist der<br />
Beweis geliefert, daß sie dieselbe nicht aus Gier nach Menschen-<br />
fleisch verzehrt hatten, sondern lediglich der Rache und der Wiedervergeltung<br />
wegen. Der letzte Kannibalenschmaus soll nach Marcoy<br />
im Jahre 1846 stattgefunden haben. ^<br />
Was die Miranhas betrifft, so herrscht seit langer Zeit in<br />
ihrem Lande Hungersnot. Zu x4.ckerbauern haben sie sich nie<br />
emporgeschwungen, sie sind Jäger und Fischer. Seit langem nun<br />
giebt es in ihrem Gebiete am rechten Japureufer, wie Marcoy er-<br />
zählt, weder Tapire noch Peccaris mehr, weder Affen noch große<br />
Nagetiere, selbst der Jaguar kommt nicht mehr vor, und da wird<br />
OS begreiflich, wenn den Miranhas nachgesagt wird, sie fräßen ihre<br />
Kranken und Alten. Der Grund aber, weshalb sie ihr armseliges<br />
Gebiet nicht verlassen, ist die Feindschaft der angrenzenden Stämme,<br />
die jeden Miranha niedermachen, der sich bei ihnen blicken läßt.^<br />
Nachbarn der Miranhas waren die jetzt untergegangenen Yamas.<br />
<strong>Die</strong>se zerbrachen die Knochen ihrer Todten, um das Mark auszu-<br />
saugen, und sie thaten dieses, weil sie meinten, im Marke stecke<br />
die Seele des Verstorbenen, und diese gehe in den Menschen über,<br />
welcher das Mark verzehrt."*<br />
Am Madeira sind die wilden, in den Wäldern hausenden, von<br />
allem europäischen Einflüsse noch völlig unberührten Parentintins<br />
bei Crato unzweifelhaft Kannibalen, die einen brasilianischen Serin-<br />
gucii-n (Kautschuksammler) bei Crato überfielen und auf einer Sand-<br />
bank brieten und verzehrten, wobei sie von den Verfolgern über-<br />
' Paul Makcoy im l'our du Monde. XV. 135.<br />
'^ Paul Marcoy a. a. O. 138. ^ Maucov a. a. 0. 139.<br />
R. Andree, AntUropopLagie. (j<br />
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