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Die Anthropophagie. Eine ethnographische Studie

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10 Überlebsel im Volksglauben.<br />

setzen, um ihn in den geheizten Backofen zu schieben; er stellt<br />

sich aber ungeschickt und als die Tochter es ihm vormacht, schiebt<br />

er diese schnell in den Ofen, wo sie gebraten wird. Nun kommt<br />

die Alte zu Hause, sieht in den Ofen und spricht: ,,Ach, Wanka,<br />

wie schön du gebraten bist.'' Sie zieht den'Menschenbraten hervor<br />

und verzehrt ihn. Sie verspeist somit ihr eigenes Kind und diesen<br />

Zug finden wir auch anderweitig und die Backofengeschichte spielt<br />

gleichfalls in deutschen Märchen.<br />

In den Märchen und Sagen der Turkvölker Südsibiriens leben<br />

auch die Menschenfresser fort, wiewohl wir bei den heutigen Vieh-<br />

züchtern jener Gegenden keinerlei Spuren von Kannibalismus nachzu-<br />

weisen vermögen. In dem von den Altajern erzählten Märchen von<br />

Tardanak und Täktäbäi Märgän Averden deutliche Menschenfresser-<br />

geschichten erzählt, wie in unseren Kindermärchen, ^<br />

Tardanak wird von dem siebenköpfigen Jälbägän in einen Sack<br />

gesteckt um als Speise zubereitet zu werden ; mit List befreit er<br />

sich daraus, schneidet den Kindern Jälbägäns die Köpfe ab und<br />

kocht deren Leiber in einem Kessel. Da kehrt Jälbägän zurück:<br />

Sah das Fleisch, welches im Kessel gekocht war.<br />

Als er das Fleisch sah, sprach er:<br />

Meine Kinder haben gut gethan,<br />

Den Tardanak haben sie getötet<br />

Und gekocht, das ist gut.<br />

Das im Kessel befindliche Fleisch nahm und aß er.<br />

So ist also auch hier der Menschenfresser geprellt und verzehrt<br />

die eigenen Kinder im Wahne, einen Fremden zu essen.<br />

<strong>Die</strong> Anschauungen, wie sie in den Märchen und im Yolksaljer-<br />

glauben hier uns entgegentreten, namentlich der Wahn, dass im<br />

menschlichen Fleische und Blute Heilkraft vorhanden sei, sie be-<br />

stehen noch jetzt beim gemeinen Volke und äußern sich praktisch.<br />

Als die Hinrichtungen in Deutschland noch öffentlich waren,<br />

ist es häufig vorgekommen, daß Zuschauer ihre Taschentücher in<br />

das Blut hingerichteter Verl)recher eintauchten, um sie dann zu<br />

Heilzwecken zu benutzen, gerade so wie der arme Heinrich des<br />

Hartmann v, d. Aue durch das Herzblut einer reinen Jungfrau<br />

vom Aussatz geheilt werden sollte. Bei Daher in Pommern wurde<br />

eine Kindsmörderin hingerichtet; als ihr Blut umherspritzte, drängten<br />

sich alle Leute, die etwas zu verkaufen hatten, besonders Bäcker<br />

^ Radloff, Yolkslittcratur der türkischen Stamme Süd-Sibiriens. St. Pcters-<br />

ImriT 18(56. I. 28. 32.

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