"... der Angeklagte ist Jude" - Brandenburgische Landeszentrale für ...
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Einleitung<br />
„Der <strong>Angeklagte</strong> <strong>ist</strong> Jude…“ Diese stereotype Wendung leitete die<br />
me<strong>ist</strong>en Begründungen <strong>für</strong> Gerichtsurteile ein, die in Strafverfahren<br />
gesprochen wurden, <strong>der</strong>en <strong>Angeklagte</strong> we<strong>der</strong> gemordet noch vergewaltigt,<br />
nicht gestohlen o<strong>der</strong> unterschlagen hatten. Die <strong>Angeklagte</strong>n<br />
wurden kriminalisiert, weil sie bewußt o<strong>der</strong> aus Unkenntnis<br />
gegen Gesetze verstoßen hatten, die <strong>der</strong> Ausgrenzung, Ausplün<strong>der</strong>ung<br />
und letztendlich <strong>der</strong> Ermordung <strong>der</strong> jüdischen Bevölkerung in<br />
Deutschland einen rechtlichen Rahmen geben sollten.<br />
Mehr als 1970 Gesetze, Verordnungen, Erlasse, Verfügungen und<br />
Anweisungen, erlassen in den Jahren von 1933 bis 1945 von Reichsund<br />
Territorialbehörden, unterhöhlten zu diesem Zweck das Bürgerliche<br />
Gesetzbuch und das Strafgesetzbuch. 1<br />
Betroffen von dieser Politik waren alle Bereiche <strong>der</strong> Rechtsprechung:<br />
das öffentliche Recht, das bürgerliche Recht (Zivilrecht) und<br />
das Strafrecht. 2<br />
Während die nationalsozial<strong>ist</strong>ische „Judenpolitik“ 3 und in diesem<br />
Zusammenhang die Rolle <strong>der</strong> Justiz 4 bei <strong>der</strong> Verdrängung, Verfolgung<br />
und Vernichtung <strong>der</strong> Juden in ihrer Komplexität vergleichsweise<br />
gut erforscht sind, sind die regionalgeschichtlichen Forschungen<br />
5 auf diesem Gebiet, insbeson<strong>der</strong>e in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />
unzureichend. Die vorliegende Dokumentation von Strafverfahren<br />
gegen Juden in <strong>der</strong> Provinz Brandenburg soll mit zur Schließung dieses<br />
Desi<strong>der</strong>ates beitragen.<br />
Das nationalsozial<strong>ist</strong>ische Rechtssystem charakterisierte eine gewisse<br />
„Doppelgleisigkeit“. Unter Lossagung von allen demokratischen<br />
Rechtstraditionen bauten die Nationalsozial<strong>ist</strong>en ein Rechtssystem<br />
auf, das einerseits unter <strong>der</strong> Aufgabe des Gleichheitsprinzips konträr<br />
zu den Grundlagen von Rechtsstaatlichkeit stand. An<strong>der</strong>erseits<br />
wurden viele aus <strong>der</strong> rechtsstaatlichen Zeit stammenden Begriffe<br />
und Einrichtungen beibehalten und mit verän<strong>der</strong>tem o<strong>der</strong> demselben<br />
Inhalt fortgeführt.<br />
Nach dem Machtantritt <strong>der</strong> Nationalsozial<strong>ist</strong>en vollzog sich eine<br />
schrittweise Revision bisher gültiger Rechtsnormen <strong>der</strong> bürgerlichen<br />
Demokratie. Die Gewaltenteilung wurde zerstört, die nationalsozial<strong>ist</strong>ische<br />
Ideologie zum Normativ <strong>der</strong> Rechtsprechung.<br />
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