"... der Angeklagte ist Jude" - Brandenburgische Landeszentrale für ...
"... der Angeklagte ist Jude" - Brandenburgische Landeszentrale für ...
"... der Angeklagte ist Jude" - Brandenburgische Landeszentrale für ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Das Verschenken einer Bibliothek<br />
Der Fall Gustav M., Guben 1941<br />
In <strong>der</strong> Stadt Guben lebten 1939 noch 98 8 jüdische Bürger von 217<br />
im Jahr 1932/33. Es waren vorwiegend ältere Menschen, die die<br />
Stadt und das Land trotz <strong>der</strong> antisemitischen Politik nicht verlassen<br />
hatten. Zu jenen, die bis zuletzt in Guben blieben, gehörte auch <strong>der</strong><br />
Jur<strong>ist</strong> Gustav M.. M. war 1884 nach Guben gekommen, hatte dort<br />
52 Jahre als Rechtsanwalt und Notar gewirkt und war von 1914 bis<br />
1932 auch als Stadtrat tätig.<br />
Im Sommer 1941 wurde <strong>der</strong> nunmehr 85jährige gezwungen, seine<br />
Wohnverhältnisse zu verän<strong>der</strong>n. Er sollte entwe<strong>der</strong> in eine kleinere<br />
Wohnung ziehen o<strong>der</strong> aber die Hälfte seiner Wohnung an<strong>der</strong>en<br />
Mietern überlassen. Der Mieterschutz war den Juden mit dem<br />
am 30. April 1939 verabschiedeten Gesetz über die Mietverhältnisse<br />
mit Juden entzogen worden. 9 Aus diesem Grund sah sich M. gezwungen,<br />
einen Brief an den Oberfinanzpräsidenten von Brandenburg<br />
zu schreiben, in dem er um Erlaubnis bat, seine umfangreiche<br />
Bibliothek u.a. mit Werken von Schiller, Shakespeare und Goethe einem<br />
Schüler <strong>der</strong> höheren Klassen zu schenken. Die Unterschrift zu<br />
diesem Brief enthielt nicht den aufgezwungenen Namen „Israel“.<br />
/DOKUMENT 1/ Während die Devisenstelle <strong>der</strong> Oberfinanzdirektion<br />
auf diese Unterlassung nicht reagierte, erstattete die Staatspolizeileitstelle<br />
Frankfurt/O<strong>der</strong> nach einer Überprüfung <strong>der</strong> Juden von<br />
Guben am 23. Oktober 1941 Anzeige wegen des Fehlens des zusätzlichen<br />
Vornamens in dem Schreiben an die Oberfinanzdirektion.<br />
In <strong>der</strong> Vernehmung durch die Gestapo am 3. November 1941<br />
gab M. an, von <strong>der</strong> Namensregelung gehört zu haben. Aber er „habe<br />
nie darüber nachgedacht, ob ich auch unter die Bestimmung falle.“<br />
10 /DOKUMENT 2/ M. sagte aus, bisher nie den Namen „Israel“<br />
benutzt zu haben. Die Gestapo hatte kein Erbarmen mit dem<br />
zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Vernehmung bettlägerigen alten Mann. Sie<br />
schätzte ein, daß „er je<strong>der</strong>zeit in <strong>der</strong> Lage (war), das Gesetzwidrige<br />
seiner Handlungsweise zu erkennen.“ 11<br />
Am 30. Januar 1942 legte <strong>der</strong> Oberstaatsanwalt beim Landgericht<br />
Frankfurt/O<strong>der</strong> die Anklageschrift vor. Anklagepunkte waren das<br />
Nichtanzeigen <strong>der</strong> Namensän<strong>der</strong>ung bei dem Standesamt, das die<br />
Geburt von M. beurkundet hatte, und das Nichtführen des zusätzlichen<br />
Vornamens im Rechts- und Geschäftsverkehr.<br />
76