Zusammenfassung – Schweizerisches Bundesstaatsrecht –
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§66 Akzessorisches Prüfungsrecht<br />
I. BEGRIFF UND ALLGEMEINES<br />
Das akzessorische Prüfungsrecht bedeutet das Recht von Gerichten und Verwaltungsbehörden,<br />
die von ihnen anzuwendenden generellen Rechtssätze im Zusammenhang mit einem konkreten<br />
Rechtsanwendungsakt vorfrageweise auf ihre Rechtmässigkeit (einschliesslich<br />
Verfassungsmässigkeit) hin zu überprüfen und im Fall der Rechtswidrigkeit nicht anzuwenden.<br />
Wenn Gerichte oder Verwaltungsbehörden einen Rechtssatz auf einen konkreten Tatbestand<br />
anwenden, haben sie nicht nur zu untersuchen, wie die Rechtsnorm im konkreten Fall richtig<br />
anzuwenden ist, sondern sie können <strong>–</strong> soweit ein akzessorisches Prüfungsrecht besteht <strong>–</strong> auch<br />
prüfen, ob der anzuwendende Rechtssatz seinerseits rechtmässig ist. Die Überprüfung der<br />
Rechtmässigkeit ist allerdings nicht die Haupt- sondern nur die Vorfrage. Akzessorisch bedeutet,<br />
dass das Prüfungsrecht zu einem auf einen Rechtsanwendungsakt ausgerichteten Verfahren<br />
hinzutritt (lat. accedere: „hinzutreten“). Das akzessorische Prüfungsrecht wird auch konkrete<br />
Normenkontrolle genannt.<br />
Das akzessorische Prüfungsrecht ist weder in der BV noch in einem Bundesgesetz ausdrücklich<br />
vorgesehen. Es wird mit der Begründung anerkannt, dass Normen, die zu einer übergeordneten<br />
Norm im Widerspruch stehen, keine Geltung beanspruchen können („lex superior derogat legi<br />
inferiori“). Auch auf Art. 5 Abs. 1 BV (Recht ist Grundlage und Schranke staatlichen Handelns)<br />
wird das akzessorische Prüfungsrecht gestützt.<br />
Die akzessorische Überprüfung kann einerseits auf Begehren einer Partei erfolgen, andererseits<br />
haben Gerichte und Verwaltungsbehörden sie von Amtes wegen auszuüben, wenn sich Zweifel<br />
an der Rechtmässigkeit einer Norm ergeben. Dort wo das Rügeprinzip (vgl. N. 2039) gilt,<br />
überprüft das BGer die Norm nur auf Rüge des Beschwerdeführers hin.<br />
Grundsätzlich können Gerichts- und Verwaltungsbehörden in jedem<br />
Rechtsanwendungsverfahren das akzessorische Prüfungsrecht ausüben, weshalb dieses Recht<br />
einer grossen Zahl von Gerichts- und Verwaltungsbehörden verschiedener Stufe zusteht.<br />
Das akzessorische Prüfungsrecht führt nicht zur formellen Aufhebung von Rechtsnormen (dies ist<br />
ausschliesslich Sache der zuständigen Rechtsetzungsorgane), sondern dient lediglich dazu, den<br />
betreffenden Rechtssatz als rechtswidrig zu erklären und ihm in dem konkreten Fall die<br />
Anwendung zu versagen.<br />
II. PRÜFUNGSRECHT GEGENÜBER NORMEN DES KANTONALEN RECHTS<br />
Kantonale Normen sind sowohl auf ihre Übereinstimmung mit höherrangigem kantonalem Recht<br />
als auch auf ihre Übereinstimmung mit Bundesrecht zu prüfen.<br />
1. Prüfung der Übereinstimmung mit kantonalem Recht<br />
Die Zulässigkeit der akzessorischen Prüfung bestimmt sich in erster Linie nach kantonalem Recht.<br />
Einige Kantonsverfassungen weisen die kantonalen Gerichte ausdrücklich an, Erlassen die<br />
Anwendung zu versagen, die Bundesrecht oder kantonalem Verfassungs- oder Gesetzesrecht<br />
widersprechen.<br />
Auch Verwaltungsbehörden können u.U. befugt sein, eine akzessorische Prüfung vorzunehmen.<br />
Widersprechen Verordnungen dem Gesetz oder der Kantonsverfassung, sind sie weder von den<br />
Gerichten noch von den Verwaltungsbehörden anzuwenden. Jedoch darf eine<br />
70<br />
N. 2070-2079<br />
N. 2080-2085