plus Magazin Endlich schöne Haare (Vorschau)

UNSER LEBEN
sehen sich Demente ja noch beim eigenen
geistigen Verfall zu. Und wissen zugleich,
dass sie nichts dagegen tun können.
Kann es Schlimmeres geben?
Dr. Sascha Marrakchi unterbricht meine
Gedanken. Er ist jung, Ende 30 oder Mitte
40 vielleicht, er könnte mein Sohn sein.
Sicher vergisst er nie etwas, ahnt nicht,
wie es sich anfühlt, wenn man plötzlich
im Keller steht und nicht mehr weiß, was
man eigentlich holen wollte. Doch er hat
Bloß alles richtig machen
tagtäglich mit Menschen wie mir zu tun.
Sein Lächeln ist freundlich, die Stimme
warmherzig, als er mich begrüßt und erklärt,
wie er in der nächsten Stunde mit
Fragen und Aufgaben herausfinden möchte,
ob mein Gedächtnis und mein Gehirn
normal funktionieren. Ich rutsche etwas
nervös auf dem Lederstuhl ein Stück nach
vorne. Will es mir nicht zu bequem machen,
hellwach sein, konzentriert, um
jetzt bloß alles richtig zu machen.
Können wir loslegen?, nickt mir Dr. Marrakchi
aufmunternd zu und beginnt:
Welches Jahr haben wir? 2011, klar. Das
Datum? Der 5. August. Welcher Wochentag
ist heute? Verflixt, gleich eine kleine
Hürde zu Anfang. Wochentage sind meine
Schwachstelle. Ich zögere, muss nachdenken.
Freitag! Die Nervosität schleicht
ins Zimmer. Was hält er in der Hand?
Seine Brille, das ist leicht. Wo sind wir,
in welchem Bundesland? In Hamburg.
Dann soll ich drei Wörter nachsprechen:
Zitrone. Schlüssel. Ball. Als Nächstes das
Wort „Radio“ rückwärts buchstabieren.
O-i-d-a-r. Auch dies gelingt ohne Mühe.
Na, wenn das so leicht ist, habe ich ja
wohl nichts zu befürchten, oder? Meine
Schultern lockern sich.
Bin ich gereizter? Nein...
Doch jetzt stellt er plötzlich ganz andere
Fragen. Ob ich Medikamente nehme, welche
Krankheiten ich aktuell habe, welche
ich früher hatte und ob es in der Familie
bestimmte Erkrankungen gab. „Haben
Sie sich in letzter Zeit verändert? Sind
Sie aggressiver geworden?“ Was hat das
mit meinem Gedächtnis zu tun? Der Doktor
bemerkt meinen kritischen Blick: „Demenz
beginnt nicht immer mit Vergesslichkeit.
Viele werden zuerst unruhiger,
ungeduldiger, auch aggressiver.“ Bei mir
ist das nicht der Fall, glaube ich – aber
HELEN PRESSER, 75,
Northridge, California
„Ich vermisse so vieles. Am meisten aber
vermisse ich, dass sie
mir sagt, wie sehr sie mich liebt.“
Harvey Presser, Ehemann
32 10 / 2011