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REISE & KULTUR<br />
LAND DER<br />
SORBEN<br />
Nicht erst seit<br />
Spitzenpolitiker der<br />
DDR in den 70ern<br />
ihre Datschen (Ferienhäuser,<br />
u. l.) hier<br />
bauten, zieht der<br />
Spreewald Menschen<br />
magisch an. Schon<br />
vor 1 400 Jahren<br />
zog es die Sorben<br />
aus Osteuropa in die<br />
Lausitz. Heute<br />
leben 60 000 Frauen<br />
und Männer dieser<br />
Volksgruppe hier.<br />
Sie pflegen ihre<br />
eigene Kultur und<br />
Sprache. Auch<br />
Monika Baumgart<br />
(o. r.) hält die uralten<br />
Traditionen lebendig.<br />
in Tag zum Weltumarmen. Die Spätsommersonne<br />
blinkt durch flirrende Weiden, Katzen jagen<br />
ihre Schwänze, ein paar letzte blauviolette Hortensien<br />
<strong>plus</strong>tern sich am Ufer auf. An hölzernen<br />
Außenhäuten windschiefer Hütten trocknen<br />
aufgefädelte Maiskolben und auf Wäscheleinen<br />
knattern schneeweiße Bettbezüge im Wind.<br />
Gekonnt versenkt Doris Wenske (55) an diesem<br />
Morgen ihr vier Meter langes Rudel, eine Mischung<br />
aus Ruder und Paddel, im Wasser der<br />
Spree und stakt ihren Kahn durch die Kanäle und<br />
Fließe, die ein weit verzweigtes Delta rund um<br />
ihren Heimatort Lehde bilden. „Sie sind das, was<br />
anderswo Straßen, Pfade und Wege aus Sand<br />
und Asphalt sind“, erzählt die gestandene Spreewälderin,<br />
die früher mal Maschinistin war und<br />
heute „in Tourismus macht“.<br />
Die Post, die Müllabfuhr, der Arzt – in dem<br />
150-Seelen-Dorf Lehde kommt das Leben übers<br />
Wasser. Was den Vorteil hat, dass Auto-Rauschen<br />
und Abgas Fremdwörter<br />
für die Einwohner<br />
sind. Auch<br />
sonst wirkt das 700<br />
Jahre alte Lehde im<br />
Herzen des Spreewalds<br />
wie aus der<br />
Zeit gefallen. Wären<br />
nicht ein paar neuere<br />
Bauten eingestreuselt<br />
worden in<br />
die alte Blockhaus-<br />
Pracht, man könnte<br />
sich am Drehort eines Märchenfilms wähnen.<br />
Doch wann hat der Spreewald, der seit 20 Jahren<br />
das Unesco-Gütesiegel „Biosphärenreservat“<br />
trägt, wohl sein schönstes Kleid an? „Ganz ehrlich?<br />
Das ganze Jahr“, sagt Doris Wenske.<br />
Aber wenn sich die 55-Jährige eine Tageszeit<br />
aussuchen könnte, dann würde sie die Menschen<br />
am liebsten nur in den frühen Morgenstunden<br />
oder am goldlichten Abend durch den verwinkelten<br />
Wunschwald staken – die beste Zeit, um<br />
Ruhe zu finden. Tagsüber schippern zu viele<br />
Tagestouristen herum, die eher auf Stimmung<br />
an Bord stehen. Dabei ist der „deutsche Dschungel“<br />
doch eher eine Landschaft, um den Alltag<br />
über Bord zu werfen, innezuhalten. Wie oft hat<br />
Doris Wenske große Augen gesehen, wenn Bus-<br />
Seerosen & Wasserlilien säumen<br />
die Kanäle wie zartes Seidenband<br />
Touristen nach langer Fahrerei endlich ankamen<br />
in Lehde und es kaum fassen konnten: Gerade<br />
noch Autobahn, Stau und Hitze, doch plötzlich<br />
Kühle, Stille und Einsamkeit. Und dann kommt<br />
dieser Dschungel auch noch ganz ohne böse<br />
Schlangen und Schlingpflanzen aus. Im Gegenteil:<br />
Die Natur zeigt sich von ihrer lieblichsten<br />
Seite, Seerosen, Wasserlilien, Pfeilkraut. Fischotter,<br />
Buntspechte und Rehe. Letztere kommen<br />
abends sogar bis zu Wenskes in den Garten und<br />
äsen friedlich weg, was die Natur gerade serviert.<br />
Nur Doris Wenskes Gemüsebeet, das ist<br />
tabu. Meerrettich, Kartoffeln und die berühmte<br />
Spreewaldgurke pflanzt sie hier seit Jahren an,<br />
nur für den Eigenbedarf. Früher, als Wenskes<br />
noch Rinder hatten, haben sie auch ihre Kühe<br />
rausgestakt aufs Feld – zwei Boote nebeneinander<br />
und die Rindviecher darauf festgezurrt,<br />
damit die Fuhre nicht kippelig wird.<br />
Den Familienkahn zu lenken, in dem manchmal<br />
bis zu 30 Touristen hocken, das hat Doris<br />
Wenske von ihrem Mann gelernt. Es war nicht<br />
immer leicht für sie, den schwerfälligen Acht-<br />
Meter-Kahn durch verwinkelte Wassergässchen<br />
zu bugsieren. Aber sie hat gelernt, ihre Patzer,<br />
die heute kaum noch vorkommen, humorig zu<br />
verkaufen: „Klar rempelt man auch mal mit<br />
einem Kanu zusammen, dann gibt’s eben ein<br />
‚Faltboot‘“, sagt sie trocken. Auch Kentern in 80<br />
Zentimeter tiefem Wasser ist nicht schlimm: „Wo<br />
gibt es schon eine Moorpackung gratis?“<br />
Ob sie denn bei ihren Bootsausflügen auch<br />
mal die für Spreewälderinnen so typische Tracht<br />
trägt? Doris Wenske winkt ab! „Viel zu unpraktisch<br />
im Alltag.“ Sie bevorzugt Bluse und Jeans.<br />
Ganz anders als Milena, die hier in Lehde zwar<br />
keine Kähne, dafür aber Touristen unterhält. Milena<br />
ist der Künstlername von Monika Baumgart<br />
(52). Und unter dem weiht sie fast jeden<br />
Abend Besucher in Gasthäusern, bei Heimatabenden<br />
und zünftigen Tafeln in die Geheimnisse<br />
des Senfmachens ein, erzählt Anekdöt-<br />
Doris Wenske (55) – fährt ihre Gäste<br />
am liebsten in den stillen Morgenstunden<br />
durch den Spreewald.<br />
38 10 / 2011