pdf-datei - Mathematik - Universität Tübingen
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Kapitel 1. Einführung<br />
sinnvoll, jedoch ist sie nur sehr schwer handzuhaben. Der Beweis, dass ein Diffeomorphismus<br />
existiert ist oft nur konstruktiv und sehr technisch durchzuführen; noch<br />
schwieriger ist es zu beweisen, dass kein Diffeomorphismus existiert. Ein Merkmal, das<br />
die Unterscheidung erheblich erleichtert, ist die „Fundamentalgruppe“ einer Mannigfaltigkeit<br />
(siehe Definition 3.17). Da sich die Fundamentalgruppe einer Mannigfaltigkeit<br />
durch einen Diffeomorphismus nicht verändert, kann so zwischen zwei Mannigfaltigkeiten<br />
unterschieden werden: haben sie nicht die gleiche Fundamentalgruppe, so<br />
kann kein Diffeomorphismus existieren. Und obwohl die Reduktion eines so komplizierten<br />
Gebildes wie einer Mannigfaltigkeit auf eine einfache Gruppe sehr viel Information<br />
entfernt, werden wir sehen, dass die Fundamentalgruppe ein enorm nützliches<br />
Werkzeug ist, um Mannigfaltigkeiten zu unterscheiden. In Kapitel 5 werden wir sehen,<br />
dass die Flächen (also Mannigfaltigkeiten der Dimension 2) bereits komplett charakterisiert<br />
werden können durch die Fundamentalgruppe, und in Kapitel 7 werden wir<br />
etwas ähnliches für 3-Mannigfaltigkeiten versuchen.<br />
Nun stellt sich also noch die zweite Frage: welche Mannigfaltigkeiten gibt es überhaupt?<br />
Es stellt sich heraus, dass diese Frage sehr schwer zu beantworten ist oder gar keine<br />
Antwort hat. Während die Mannigfaltigkeiten der Dimension 1 noch trivial zu erfassen<br />
sind, existieren in Dimension 2 schon abzählbar viele. Um die Mannigfaltigkeiten<br />
der Dimension 3 wenigstens ungefähr auflisten zu können muss schon sehr viel bewegt<br />
werden, und der Beweis über die Korrektheit der Auflistung gelang erst vor kurzer Zeit<br />
[10]. In Dimension 4 kann bereits jede endlich erzeugte Gruppe als Fundamentalgruppe<br />
einer Mannigfaltigkeit auftreten; deren Klassifikation ist aber selbst unmöglich, und<br />
so ist die Definition, dass zwei 4-Mannigfaltigkeiten „gleich“ sind, wenn ein Diffeomorphismus<br />
zwischen ihnen existiert, offenbar zu schwach, denn sie unterscheidet so<br />
genau zwischen den Möglichkeiten dass eine Liste herauskommt, die nicht beherrschbar<br />
ist.<br />
Dass eine präzise Aufstellung der möglichen Sorten von 3-Mannigfaltigkeit notwendig<br />
ist, und dass diese Aufstellung wegen ihrer Größe der Intuition über Mannigfaltigkeiten<br />
widerspricht, zeigt eine einfache Überlegung: Welche 3-Mannigfaltigkeiten sind<br />
trivial oder intuitiv bekannt? Offensichtlich ist der R 3 eine 3-Mannigfaltigkeit, welche<br />
aber nicht kompakt ist, für uns also nicht weiter interessant. Deren Kompaktifizierung<br />
ist die Sphäre S 3 (siehe Definition 2.18), welche sich offensichtlich von R 3 durch die<br />
Kompaktheit unterscheidet. Und dann? Eine intuitive Auflistung der Mannigfaltigkeiten<br />
der Dimension 3 enthält gerade einmal einen einzigen Eintrag. Die tatsächliche Liste<br />
enthält, wie sich herausstellen wird, jedoch unendlich viele Elemente. Eine Unterscheidung<br />
zwischen diesen Elementen wird mitunter so schwer, dass die Auflistung über<br />
die verwendeten Methoden und Bausteine erfolgen muss.<br />
Das Thurstonprogramm<br />
Das Thurstonprogramm, oder genauer gesagt, die Thurstonsche Geometrisierungsvermutung<br />
enthält genau diese Auflistung. Sie wurde wurde 1982 von William Thurston<br />
im Rahmen einer Veröffentlichung der American Mathematical Society aufgestellt [15]<br />
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