Download - Gesis
Download - Gesis
Download - Gesis
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
kenntnisse zur Gleichstellung, so wird rasch<br />
deutlich, dass sich auf höheren Hierarchieebenen<br />
des Wissenschaftssystems die Situation<br />
nur sehr schleppend und sektoriell sehr ungleich<br />
entwickelt. Und selbst in Bereichen, in<br />
denen der Frauenanteil bei den Studierenden<br />
sehr hoch ist, sieht es bei der Berufung von<br />
Professorinnen nicht ganz so rosig aus. Tendenziell<br />
ist die Zahl der Frauen in der Wissenschaft<br />
zwar steigend (langsam auch auf den oberen<br />
Hierarchieebenen), aber Zahlen erzählen bekanntlich<br />
immer nur einen kleinen Teil dessen,<br />
was von Bedeutung ist. Damit ist wieder einmal<br />
die Frage auf dem Tisch: Wie steht es um die<br />
Praxis der Gleichstellungspolitik jenseits von<br />
Erklärungen, Programmen und Statistiken? Wie<br />
lässt sich die beobachtbare Veränderungsresistenz<br />
des Wissenschaftssystems in dieser Frage<br />
erklären oder zumindest partiell erfassen?<br />
Zu diesem Zweck möchte ich den Fokus der<br />
Aufmerksamkeit verschieben, weg von einer<br />
Makroperspektive und den Übungen des Zählens<br />
von geförderten Frauen in wissenschaftlichen<br />
Institutionen, hin zu einer Analyse der<br />
Bedingungen des Arbeitens und Lebens in der<br />
Wissenschaft. Von Interesse sind also die multiplen<br />
Praxen wissenschaftlichen Arbeitens, die<br />
dominanten Wertesysteme, und damit zusammenhängend<br />
die vielfältig gestalteten Momente<br />
des Einschlusses aber auch des Ausschlusses<br />
von Frauen. Dies scheint ein notwendiger „Umweg“<br />
zu sein: sich wegzubewegen von jenen<br />
Kategorien und Indikatoren, die im politischen<br />
Diskurs zu Geschlechterfragen in der Wissenschaft<br />
so zentral gesetzt werden, und den<br />
Blick auf die vielen Zwischenräume zu lenken,<br />
in denen Ordnungen im Wissenschaftssystem<br />
hergestellt werden. Dabei geht es nicht um feste<br />
große Ordnungen, sondern eher im Sinne von<br />
Law (1994) um „modes of ordering“, also um<br />
die ständig laufenden Prozesse des Ordnens<br />
und Geordnetwerdens. Geschlecht ist in dieser<br />
Betrachtung also nicht eine klar gefasste, einfach<br />
zu messende und als Zeitreihe darstellbare<br />
Größe – es geht nicht nur um das Zählen von<br />
Männern und Frauen in Wissenschaft und Technik<br />
–, sondern umfasst etwa auch Fragen nach<br />
den Geschlechterkonnotationen bestimmter Tätigkeitsfelder<br />
innerhalb der Wissenschaft, nach<br />
Rollenzuschreibungen, Verhaltenszuschreibungen<br />
und vielem mehr. Damit ist Geschlecht<br />
eine aus multiplen Mikrobeobachtungen zusammengefügte<br />
Kategorie, die uns Aufschluss<br />
geben kann über die Qualität der Beziehung<br />
von Wissenschaft und Geschlecht.<br />
Ich werde somit im Folgenden das Leben in<br />
der kontemporären Wissenschaft ins Zentrum<br />
der Analyse und Reflexion rücken, um schließlich<br />
in meinen „keineswegs abschließenden<br />
Überlegungen“ auf die Frage von Geschlechtergerechtigkeit<br />
im Wissenschaftssystem zurückzukehren.<br />
Zu diesem Zweck greife ich auf<br />
Material aus zwei rezenten Forschungsprojekten<br />
zurück. Das erste war ein EU-Projekt mit dem<br />
Akronym KNOWING: Knowledge, Institutions<br />
and Gender 1 . Dabei handelte es sich um eine<br />
auf der Ebene der Disziplinen (Biochemie/molekulare<br />
Biologie und Soziologie), der Institutionen<br />
und nationaler Kontexte durchgeführte<br />
vergleichende Untersuchung wissenschaftlicher<br />
Arbeits- und Lebensbedingungen.<br />
1 http://sciencestudies.univie.ac.at/forschung/abgeschlosseneprojekte/knowing<br />
VORTRÄGE<br />
65