Das Magazin - Ausgabe 03 - Systembiologie
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Holger Perfahl (Foto: CSB / sven cichowicz photography).<br />
Wie gelangen die Wirkstoffe in den Tumor und wie<br />
werden sie dort verteilt?<br />
Nach der Injektion in eine Vene haben die Wirkstoffpartikel<br />
einen langen Weg vor sich. Zuerst verteilen sie sich in den<br />
großen Blutgefäßen, bis sie in die Kapillaren übergehen und<br />
dann in den interstitiellen Raum eintreten. Sie reichern sich<br />
langsam in den unterschiedlichen Organen an und werden beispielsweise<br />
in der Leber abgebaut oder von den Nieren ausgeschieden.<br />
Nur ein geringer Anteil der Gesamtmenge der Wirkstoffmoleküle<br />
gelangt in den Tumor. Im interstitiellen Bereich<br />
diffundieren die Moleküle durch das Gewebe, werden aber in<br />
ihrer freien Ausbreitung durch die Gewebestruktur gebremst.<br />
Die extrazelluläre Matrix, die Zellen und das Tumorstroma<br />
hindern die Wirkstoffe daran, sich schnell und gleichmäßig im<br />
Tumor zu verteilen. Daher ist es wichtig, detaillierte Informationen<br />
über die Struktur des Tumors in die Simulation der Wirkstoffbewegung<br />
einfließen zu lassen. Zu diesem Zweck forscht<br />
die Arbeitsgruppe um Holger Perfahl und Matthias Reuss daran,<br />
verschiedene Gewebebereiche so detailliert wie möglich<br />
nachzubilden, um so die Bewegung der Wirkstoffe durch Simulationen<br />
zu untersuchen (Abb. 1). Eine zentrale Fragestellung<br />
ist, inwieweit die Größe und Form der Wirkstoffmoleküle die<br />
Beweglichkeit und somit die Effektivität der Wirkstoffe beeinflusst.<br />
Es wird untersucht, ab welcher Größe Wirkstoffpartikel<br />
das vaskuläre System nicht mehr verlassen können, oder ab<br />
wann die Moleküle in dichten Gewebeabschnitten stecken<br />
bleiben und somit die Rezeptoren auf den Zelloberflächen der<br />
Tumorzellen nicht mehr erreichen können.<br />
Multiskalen-Modellierung: Welche Skalen sind<br />
beteiligt?<br />
Bei biologischen Prozessen im menschlichen Körper reichen die<br />
beteiligten Längenskalen von Nanometern bis hin zu Metern. Die<br />
Zeitskalen erstrecken sich vom Hundertstelsekundenbereich bis<br />
hin zu Jahrzehnten. Damit lassen sich sowohl schnelle Vorgänge<br />
im Körper (z. B. das Öffnen und Schließen von Ionenkanälen) als<br />
auch extrem langsame Vorgänge (Alterungsprozesse) abbilden.<br />
<strong>Das</strong> Tumorwachstum umfasst Prozesse, die sich von der Ebene des<br />
intrazellulären Raums über die Tumorzelle zum Tumor selbst, auf<br />
das betroffene Organ, bis hin zum gesamten Organismus erstrecken.<br />
Wechselwirkungen und Interaktionen der einzelnen Skalen<br />
verlaufen nicht nur in eine Richtung von der Zelle zum Organismus,<br />
sondern es treten vielfältige Wechselwirkungen zwischen<br />
den verschiedensten Skalen auf. Ein Ziel der aktuellen Forschung<br />
ist es, die relevanten Effekte auf den unterschiedlichen Skalen zu<br />
bestimmen und diese mit den anderen Skalen zu verbinden, um<br />
letztendlich ein Gesamtmodell für das Wachstum und die Veränderung<br />
der Struktur von Tumoren unter dem Einfluss verschiedener<br />
Therapien zu erarbeiten.<br />
Modellierung und Simulation des Tumorwachstums<br />
Bei der Simulation des vaskulären Tumorwachstums kooperiert<br />
die Arbeitsgruppe um Holger Perfahl und Matthias Reuss<br />
intensiv mit den Universitäten Nottingham und Oxford*,<br />
um das dreidimensionale Wachstum vaskulärer Tumore zu<br />
beschreiben (Abb. 2). <strong>Das</strong> verwendete Multiskalen-Modell<br />
(Perfahl et al., 2010) koppelt intrazelluläre Vorgänge mit Zellbewegungen<br />
sowie mit der Entstehung und Veränderung von<br />
Blutgefäßen. Diffundierende Substanzen, wie z. B. Sauerstoff<br />
oder Wirkstoffe treten durch das vaskuläre System aus und<br />
werden von den Zellen aufgenommen. Mit Sauerstoff unterversorgte<br />
Zellen sondern den Botenstoff VEGF (vascular endothelial<br />
growth factor) ab und stimulieren das umliegende<br />
vaskuläre System, neue Gefäße zu bilden. Daneben beeinflusst<br />
wiederum das Sauerstoff-Konzentrationsfeld die Länge der<br />
Zellzyklen und dadurch die Zellteilungsraten. Um eine engere<br />
Verbindung zwischen Experimenten und den durch Simulationen<br />
gewonnenen vaskulären Netzwerken zu erreichen,<br />
wurde ein hybrider Ansatz gewählt. Dieser Ansatz stellt eine<br />
Mischung aus Imaging Daten und Simulationen dar. Experimentell<br />
gewonnene vaskuläre Systeme bilden die Grundlage<br />
der hybriden Simulationen. Durch die Simulationen wird versucht,<br />
das weitere Wachstum eines Tumors vorherzusagen. Zur<br />
Validierung kooperiert die Forschergruppe von Holger Perfahl<br />
und Matthias Reuss mit Wissenschaftlern am Moffitt-Cancer-<br />
Center** in den USA, die experimentelle Daten zur Verfügung<br />
stellen.<br />
www.systembiologie.de<br />
Forschung Verteilung therapeutischer Antikörper im Tumorgewebe<br />
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