Untersuchungshintergrund, -ziel und -verfahren

A) Bedeutung und Hintergrund der Corporate Governance
wesentlichen Bezugsgruppen des Unternehmens, den sog. „stakeholders“ in den
Blick, wobei der Schwerpunkt auf dem Verhältnis zu den Anteilseignern, den sog.
„shareholders“, liegt. 812 Für die hier verfolgten Zwecke interessiert hauptsächlich
die interne Corporate Governance, da es um die Untreuestrafbarkeit der Organmitglieder
zu Lasten der Gesellschaft und nicht zu Lasten der Aktionäre geht. Die
pflichtgemäße Wahrnehmung der durch die materielle Aktiengesellschaftsverfassung
verteilten Leitungs- und Überwachungsaufgaben und der hiermit einhergehenden
Kompetenzen ist somit die für diese Untersuchung relevante Komponente
der Corporate Governance. Die zuvor erörterten Sorgfaltspflichten der Organmitglieder
in ihren einzelnen Facetten, wie etwa Legalitäts- und Treupflichten,
bilden das für diesen Teil der Corporate Governance geltende Verhaltensnormprogramm.
Alle hierin enthaltenen Pflichten sind Teil des Gesamtkonzepts der
aktienrechtlichen Unternehmensverfassung, welche letztlich durch die Gewährleistung
von „checks and balances“ das Wohl des Unternehmens sichern soll. Somit
ist Corporate Governance in dieser Hinsicht letztlich nichts neues, sondern nur
eine griffige Bezeichnung für eine gute Aktiengesellschaftsverfassung.
2. Corporate Governance als Disziplin
Während nach den zuvor genannten Definitionen Corporate Governance als im
Unternehmen zu bewältigende Tätigkeit in den Blick genommen wird, kommt
dem Begriff aber auch noch eine weitere, stärker normativ geprägte Bedeutung zu.
Denn er wird häufig verwendet, um die wissenschaftliche Disziplin813 zu bezeichnen,
die sich damit beschäftigt, wie die in der Aktiengesellschaft anfallenden Führungsaufgaben
am besten bewältigt werden können, indem sie die Erkenntnisse
der Rechts- und der Wirtschaftswissenschaften zu Programmsätzen für Vorstands-
und Aufsichtsratstätigkeit zusammenzufassen versucht. Das Ziel ist dabei,
die gesellschaftsrechtliche Ordnung derart zu gestalten, dass durch effiziente Leitung
und Überwachung vor allem die Interessen von Anlegern gewahrt werden. 814
Aus dieser Perspektive betrachtet, bezeichnet Corporate Governance also die auf
Verbesserung der Unternehmensführung abzielenden Anstrengungen des Gesetzgebers,
der Regierung und der Wirtschaft selbst.
Charakteristisch für Corporate Governance als Disziplin ist ihr starker Aktionärsbezug.
815 Sie will die Attraktivität von Investitionen in Aktien fördern, indem
sie Aktionärsrechte schützt. Das soll dadurch geschehen, dass die Aktionäre durch
812Claussen/Bröcker, AG 2000, S. 481; Heck, Haftungsrisiken (2006), S. 3; v. Werder, in:
Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Rn. 1.
813Bei Corporate Governance handelt es sich nicht um eine Rechtsmaterie, sondern um eine normative
Disziplin. In Anbetracht des Ausmaßes der Anstrengungen, die auf diesem Gebiet nicht zuletzt
seitens der Politik unternommen werden, kann man, wie es v. Werder, in: Ringleb/Kremer/Lutter/v.
Werder, Rn. 3 tut, geradezu von einer Corporate Governance Bewegung sprechen.
814Claussen/Bröcker, AG 2000, S. 481; Hüffer, § 76 Rn. 15a.
815Siehe Assmann, in: Assmann/Schütze, § 1 Rn. 48; Hanfland, Haftungsrisiken (2006), S. 33; Hüffer, §
76 Rn. 15a.
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