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Untersuchungshintergrund, -ziel und -verfahren

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A) Fallgruppe 1: Abweichen von nicht nach § 161 angenommenen Bestimmungen<br />

um einen graduellen, quantitativen Unterschied handeln. Eine von der bloßen<br />

Wirkung als Anhaltspunkt <strong>und</strong> der Vermutungswirkung unterschiedliche Qualität<br />

der Einflusswirkung auf das Pflichtwidrigkeitsurteil, die zwischen diesen beiden<br />

Wirkungen liegt, kann nicht angenommen werden. Fraglich ist allerdings, wie der<br />

quantitative Unterschied beschaffen sein soll, zumal sich eine solche Wirkung<br />

nicht quantifizieren lässt <strong>und</strong> es auf den Gedankengang des jeweiligen Richters im<br />

Einzelfall ankommt. Man wird aber wohl zumindest verlangen können, dass im<br />

Rahmen der Beantwortung der Rechtsfrage, ob ein Corporate Governance Verhalten<br />

der anzuwendenden Sorgfalt entspricht, bei Einhaltung des Kodex mehr<br />

oder gewichtigere Gründe vorliegen müssen, um die Wirkung als Anhaltspunkt zu<br />

überwinden <strong>und</strong> so zu einer Pflichtwidrigkeit zu kommen, als erforderlich sind,<br />

um im Falle der Kodexwidrigkeit die Sorgfaltsgemäßheit anzunehmen.<br />

Differenziert werden muss aber nicht nur zwischen der Wirkung als Anhaltspunkt<br />

für die Pflichtwidrigkeit <strong>und</strong> der Wirkung als Anhaltspunkt für die Pflichtgemäßheit,<br />

sondern zudem zwischen der Wirkung von Empfehlungen <strong>und</strong> derjenigen<br />

von Anregungen des Kodex. Da die Anregungen Verhaltensweisen propagieren,<br />

die national <strong>und</strong> international noch nicht in gleichem Maße als „best practice“<br />

anerkannt sind wie die in den Empfehlungen befürworteten, muss die Wirkung<br />

der Anregungen als Anhaltspunkt schwächer sein als die der Empfehlungen,<br />

was wiederum sowohl im Falle der Abweichung vom Kodex als auch im Falle der<br />

Befolgung gilt.<br />

Wie bereits dargestellt, kann den Kodexbestimmungen gr<strong>und</strong>sätzlich keine<br />

Konkretisierungswirkung beigemessen werden, so dass das Abweichen vom Kodex<br />

keinesfalls mit einem Verstoß gegen die Sorgfaltsmaßstäbe der §§ 93 Abs. 1 S.<br />

1, 116 S. 1 AktG gleichgesetzt werden kann. Es wäre sogar verfassungsrechtlich<br />

äußerst bedenklich, wenn ein Gericht ein Abweichen vom Kodex per se als Verletzung<br />

von Organpflichten bewertet. Eine solche Vorgehensweise bei der Prüfung<br />

einer Pflichtverletzung im Sinne der Untreue durch ein Strafgericht wäre eine<br />

Verletzung des Gesetzlichkeitsprinzips. Das basiert auf der Feststellung, dass die<br />

Anweisungen des Kodex, von den dargestellten Ausnahmen abgesehen, weit über<br />

den Mindeststandard organschaftlicher Sorgfalt hinausgehen. Soweit<br />

Kodexbestimmungen ausnahmsweise lediglich schriftlich fixierte, ohnehin geltende<br />

Mindeststandards sind, ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, das Abweichen<br />

von ihnen mit einer Pflichtverletzung gleichzusetzten, da sie insoweit nur als<br />

Rechtserkenntnisquellen dienen. 1263 Das jeweilige Gericht kann sich insoweit am<br />

Kodex orientieren. Das bloße zu Rate ziehen des Kodex wird aber für die Rechtsfindung<br />

auch in diesen Ausnahmesituationen nicht ausreichen. Denn der Kodex<br />

selbst gibt keinen Aufschluss darüber, welche seiner Bestimmungen nur Mindeststandards<br />

widerspiegeln <strong>und</strong> welche darüber hinausgehen. Daher muss das Gericht<br />

stets auch andere einschlägige Rechtserkenntnisquellen zu Rate ziehen.<br />

1263Hanfland, Haftungsrisiken (2006), S. 89.<br />

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