Untersuchungshintergrund, -ziel und -verfahren

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Kapitel 3: Das Abweichen vom Kodex als Pflichtverletzung
darauf beschränken, eine Diskrepanz zwischen positiver Entsprechenserklärung
und späterem Verhalten festzustellen, sondern muss genau aufzeigen, welche
Handlung im natürlichen Sinne untersucht wird. In dieser Fallgruppe geht es nur
um die erste Frage, also um ein von der Entsprechenserklärung abweichendes
Verhalten im Rahmen der Unternehmensführung. Das Entsprechenserklärungsverhalten
wird hingegen erst später in den Blick genommen (siehe
unten Kap. 4).
Dass § 161 AktG die Erklärungspflichtigen dazu zwingt, ein der Erklärung
entsprechendes Verhalten an den Tag zu legen, ist insbesondere aus der Sicht der
Erklärungsempfänger zunächst einmal nahe liegend. Schließlich soll das Vertrauen
der Kapitalmarktteilnehmer und der aktuellen Aktionäre der Gesellschaft gewonnen
werden. 1280 Eine Erklärung, an die man sich nicht halten muss, mag insofern
auf den ersten Blick sinnlos erscheinen. Eine solche Folgerung ist jedoch nur auf
den ersten Blick überzeugend und wird letztlich durch zahlreiche durchschlagende
Argumente entkräftet.
Gegen eine Bindung an die Entsprechenserklärung spricht zunächst der Wortsinn
des § 161 AktG, da dort von einer Verbindlichkeit keine Rede ist. 1281 Es wäre
dem Gesetzgeber ohne weiteres möglich gewesen, eine Bindungswirkung der
Entsprechenserklärung im Gesetz deutlich zum Ausdruck zu bringen, etwa durch
Zusätze wie „verbindlich“ oder „bindend“. Dies hat er allerdings nicht getan.
Gegen eine Bindungswirkung der Erklärung spricht außerdem schon die systematische
Stellung von § 161 AktG in Teil 5 Abschnitt 1 des Aktiengesetzes, da dieser
vorwiegend Publizitätspflichten enthält. Publizitätspflichten sind aber Offenlegungspflichten,
die lediglich zu Wissenserklärungen und nicht zu Willenserklärungen
zwingen, so dass eine Bindungswirkung der Entsprechenserklärung auch aus
diesem Grund eher fern liegt. 1282
In diesem Zusammenhang bringt Spindler als zentrales Argument gegen die Erzeugung
von Pflichten der Organmitglieder gegenüber der Gesellschaft durch die
Entsprechenserklärung zutreffend vor, die Entsprechenserklärung werde von den
Organmitgliedern nur abgegeben, um der Öffentlichkeit Einblick in die Corporate
Governance Praxis der Aktiengesellschaft einzuräumen und nicht, um zusätzliche
rechtlich bindende Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft einzugehen. 1283
Dieses Argument basiert auf der Auslegung der Entsprechenserklärung. Aus der
1280Becker, Haftung (2005), S. 33.
1281Becker, Haftung (2005), S. 27.
1282Becker, Haftung (2005), S. 30.
1283Spindler, in: MüKo-AktG, § 93 Rn. 31. Siehe auch Semler, in: MüKo-AktG, § 161 Rn. 52. Ähnlich
auch die Formulierung von Vetter, NZG 2008, S. 121 (122): „Haben Vorstand und Aufsichtsrat ihre
Entsprechenserklärung abgegeben, so besteht allerdings keine Bindung der Organe an die einmal
abgegebene Erklärung für alle Zeiten. Entsprechend der grundsätzlichen Unverbindlichkeit des
Kodex sind sie vielmehr frei, jederzeit im Rahmen ihres Ermessens von der in die Zukunft gerichteten
Erklärung hinsichtlich der Beachtung einzelner oder auch sämtlicher Kodex-Empfehlungen
Abstand zu nehmen.“ Vgl. auch Hüffer, § 161 Rn. 26 m.w.N.