Untersuchungshintergrund, -ziel und -verfahren
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A) Fallgruppe 1: Abweichen von nicht nach § 161 angenommenen Bestimmungen<br />
unabhängig vom Kodex ohnehin bestehen. Jede kodexwidrige Maßnahme wäre<br />
dann auch gleichzeitig eine Pflichtverletzung im Sinne der Untreue, weil die Einhaltung<br />
der Mindeststandards zur Sorgfalt eines ordentlichen <strong>und</strong> gewissenhaften<br />
Organmitglieds gehört. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Kodexbestimmungen<br />
geben ganz überwiegend keine derart verbreitete Übung wieder, dass sie als Mindeststandard<br />
gelten können. 1183<br />
Was zum Mindeststandard unternehmerischer Sorgfalt gehört, ist Ergebnis einer<br />
normativen Wertung. Das heißt jedoch nicht, dass Faktisches hierbei vollständig<br />
ausgeblendet wird. Faktisches spielt vielmehr mittelbar durchaus eine Rolle.<br />
Hierin liegt eine Parallele zur Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt<br />
i.S.d. § 276 BGB. 1184 Zur Ermittlung des normativ Gebotenen wird in ganz erheblichem<br />
Maße auch die tatsächlich herrschende Praxis berücksichtigt. 1185 Allerdings<br />
werden Unsitten, die sich in der Praxis eingeschlichen haben, nicht berücksichtigt,<br />
so dass zum Herausfiltern der zu berücksichtigenden tatsächlichen Übung <strong>und</strong><br />
zum Ausscheiden von Unsitten erneut eine Wertung erforderlich ist. 1186 Eine<br />
weitgehende faktische Verbreitung der im Kodex propagierten Standards könnte<br />
also mittelbar zu ihrer normativen Verbindlichkeit führen. Da die Sorgfalt eines<br />
ordentlichen <strong>und</strong> gewissenhaften Organmitglieds aber, ebenso wie die allgemein<br />
im Verkehr erforderliche Sorgfalt, stets einen Mindeststandard vorgibt bzw. ihn<br />
voraussetzt, wäre Voraussetzung für eine normative Bindungswirkung der<br />
Kodexbestimmungen, dass diese ebenfalls Mindeststandards enthalten.<br />
Es reicht nicht aus, dass, wie es die Kodex-Kommission in Bezug auf die<br />
Empfehlungen annimmt, ein breiter Konsens darüber herrscht, dass der Kodex<br />
1183Berg/Stöcker, WM 2002, S. 1569 (1571); Borges, ZGR 2003, S. 508 (517); Ettinger/Grützediek, AG<br />
2003, S. 353 (355); Hanfland, Haftungsrisiken (2006), S. 90; Heck, Haftungsrisiken (2006), S. 51;<br />
Krieger, in: FS-Ulmer (2003), S. 365 (379); Sester, in: Spindler/Stilz, § 161 Rn. 60; Wolf, ZRP 2002, S.<br />
59 (60). Vgl. auch Bachmann, WM 2002, S. 2137 (2138).<br />
1184Vgl. Heck, Haftungsrisiken (2006), S. 50.<br />
1185Siehe etwa BGHZ 65, 304 (308) in Bezug auf die gebotene Sorgfalt eines Seemanns; BGHZ 66,<br />
208 (210) zur gebotenen Sorgfalt bei der Versendung von Waren. Siehe auch Grüneberg, in: Palandt, §<br />
276 Rn. 16.<br />
1186Grüneberg, in: Palandt, § 276 Rn. 16. Man muss also berücksichtigen, dass es hier nicht um eine<br />
Unterscheidung des Normativen vom Empirischen geht. Das würde nämlich voraussetzen, dass alle<br />
Verhaltensmuster, die empirisch als allgemein verbreitet angesehen werden können, immanenter<br />
Bestandteil guter Unternehmensführung sind. Wie beispielsweise bei der Ermittlung der im Verkehr<br />
erforderlichen Sorgfalt, muss man aber berücksichtigen, dass längst nicht alles, was verbreitet ist,<br />
dem rechtlich zu fordernden Standard genügt. Somit ist das Ermitteln von einzufordernder Sorgfalt<br />
niemals rein empirisch, sondern höchst normativ, weil bestimmt werden muss, welche der verbreiteten<br />
Praktiken auch eingehalten werden sollen. In gewisser Hinsicht empirisch ist das Herausarbeiten<br />
solcher Sorgfaltsmaßstäbe nur, weil aus dem Grad der Verbreitung von Verhaltensmustern unter<br />
Berücksichtigung der hierdurch er<strong>ziel</strong>ten Ergebnisse mittelbar darauf geschlossen wird, ob die Verhaltensweise<br />
allgemein nachgeahmt werden sollte. Hierdurch entstehen einzelne Rechtssätze, die sich<br />
als Bestandteil eines Sorgfaltsmaßstabes halten, wenn sie sich als nützlich erweisen oder zumindest<br />
das Gegenteil nicht bewiesen ist. Bei der Ermittlung eines Sorgfaltsmaßstabes besteht die Aufgabe<br />
dann darin, die einzelnen Rechtssätze zu finden <strong>und</strong> gegebenenfalls zusammenzufassen.<br />
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