Untersuchungshintergrund, -ziel und -verfahren

B) Akzessorietät des Pflichtverletzungsmerkmals
II. Das Pflichtverletzungsmerkmal als Einfallstor außerstrafrechtlicher Wertungen
Dass Straftatbestände von außerstrafrechtlichen Pflichten abhängen, ist also nichts
Besonderes. Diese Abhängigkeit tritt bei Blanketttatbeständen deutlicher hervor
als bei Tatbeständen mit stark normativen Tatbestandsmerkmalen. Das Merkmal
Pflichtverletzung ist ein solches hochnormatives Tatbestandsmerkmal289 und für
Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder ergeben sich die entsprechenden Pflichten
aus dem Organverhältnis. Daraus, dass der Untreuetatbestand nichts darüber aussagt,
welche Pflicht des Innenverhältnisses verletzt sein muss und stattdessen
lediglich Gesetz, behördlichen Auftrag, Rechtsgeschäft und Treueverhältnis als
Quellen solcher Pflichten aufzählt, folgt, dass der Untreuetatbestand sich theoretisch
akzessorisch zur gesamten Rechtsordnung verhalten könnte. 290 Ob dies wirklich
der Fall ist, ist also zu prüfen.
1. Konkretisierung des Pflichtverletzungsmerkmals durch außerstrafrechtliche Normen
Es wurde festgestellt, dass für eine Pflichtverletzung, sei sie ein Missbrauch, sei sie
ein Treubruch, stets eine Verletzung einer Pflicht im Innenverhältnis von Treunehmer
und Treugeber vorausgesetzt ist und dass der Untreuetatbestand über
diese Verletzung keine Auskunft gibt. Neben der Offenheit der Begriffe „Nachteil“
und „dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat“ ist die Vagheit der
Begriffe „Befugnis…missbraucht“ und „Pflicht…verletzt“ dementsprechend der
hauptsächliche Grund für die Offenheit des Gesamttatbestandes für die verschiedensten
Formen wirtschaftlich relevanten Handelns und somit auch der eigentliche
Grund für die verfassungsrechtlichen Zweifel an § 266 StGB.
Es wird häufig behauptet, § 266 StGB weise so unklare Konturen auf, dass
man kaum beurteilen könne, welches Verhalten, dem Tatbestand unterfällt und
welches nicht. 291 In eine ähnliche Richtung geht die Beobachtung einer Tendenz,
beinahe jede als „treuwidrig“ oder „inkorrekt“ empfundene Verhaltensweise im
Wirtschaftsleben könne mit Untreue in Verbindung gebracht werden. 292 Teilweise
wird der Untreuetatbestand sogar vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots
aus Art. 103 Abs. 2 GG als verfassungswidrig angesehen. 293 Besonders verbreitet
ist die Forderung, das Tatbestandsmerkmal Pflichtverletzung müsse restriktiv
289Schünemann, in: LK-StGB, § 266 Rn. 153; a.A Deiters, ZIS 2006, S. 152 (159): „Blankett“; Lüderssen,
in: FS-Schröder (2006), S. 569 ff.; Nelles, Untreue zum Nachteil von Gesellschaften (1991), S. 505
(„Blankett“); Sax, JZ 1977, S. 663 (664). Gegen die Einordnung als Blankett Kubiciel, NStZ 2005, S.
353 (357). Da diese Unterscheidung allerdings vornehmlich für Irrtumsfragen relevant ist, soll darauf
nicht näher eingegangen werden.
290So Saliger, HRRS 2006, S. 10 (14).
291Beulke, in : FS-Eisenberg (2009), S. 245 (246 f.); Kubiciel, NStZ 2005, S. 353; Perron, GA 2007, S.
219 (223 ff.).
292Beulke, in: FS-Eisenberg (2009), S. 245 (246). Vgl. auch Kubiciel, NStZ 2005, S. 353 ff.
293Dierlamm, in: MüKo-StGB, § 266 Rn. 3.
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