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Untersuchungshintergrund, -ziel und -verfahren

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A) Fallgruppe 1: Abweichen von nicht nach § 161 angenommenen Bestimmungen<br />

möglichkeiten jedoch begrenzt. Der Gesetzgeber kann eine Aufhebung des § 161<br />

AktG beschließen, die Publikation des Kodex im elektronischen B<strong>und</strong>esanzeiger<br />

kann beendet werden <strong>und</strong> der Kommission kann verboten werden, als Regierungskommission<br />

aufzutreten. Eine Einflussnahme auf die Inhalte des Kodex ist<br />

jedoch nicht möglich. Dieser gravierende Unterschied zwischen DIN- <strong>und</strong><br />

Kodexnormen stellt ein gewichtiges Argument gegen eine freiwillige Selbstbindung<br />

der Gerichte dar. 1233<br />

Aber auch wenn man kein solches Legitimationsproblem annimmt, sprechen<br />

jedenfalls Gründe der Zweckmäßigkeit entscheidend gegen eine weitgehende<br />

Selbstbindung der Gerichte an die Kodexbestimmungen. Das insoweit entscheidende<br />

Argument bringt Spindler vor: Die DIN-Normen betreffen technische, empirisch<br />

überprüfbare Sachverhalte <strong>und</strong> beruhen auf einem standardisierten Erfahrungswissen.<br />

Ihre technischen Lösungen sind stets reproduzierbar. Demgegenüber<br />

handelt es sich bei den Kodexbestimmungen um normative Aussagen. Es fehlt<br />

also bereits an der Vergleichbarkeit. 1234 Dieses Argument überzeugt umso mehr,<br />

wenn man sich die Motive vergegenwärtigt, die den Gesetzgeber zur Schaffung<br />

der „comply-or-explain-Lösung“ des § 161 AktG bewogen haben. Denn hierbei<br />

hat eine tragende Rolle die Erkenntnis gespielt, dass im Bereich der Unternehmensführung<br />

starre Regeln, die alle Situationen regeln können, kaum praktikabel<br />

sind, was sich nicht zuletzt auch an der Existenz der Business-Judgement-Rule<br />

zeigt. 1235 Eine Abkehr von anerkannten Gr<strong>und</strong>sätzen im Bereich der Unternehmensführung<br />

kann angesichts der Vielschichtigkeit der zu berücksichtigenden<br />

Faktoren <strong>und</strong> verschiedenen Interessengruppen <strong>und</strong> in Anbetracht der Unvorher-<br />

1233Auch die Berufsbezogenheit der Kodex-Regeln könnte gegen eine solche Wirkung sprechen.<br />

Angeführt wird in diesem Zusammenhang zuweilen die Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

zu berufsständischen Regeln. Siehe etwa den Hinweis bei Bachmann, WM 2002, S. 2137 (2138).<br />

Es hatte in BVerfGE 76, 171, wo es um die Konkretisierung des § 43 BRAO ging, unter Hinweis auf<br />

die sog. Facharztentscheidung entschieden, dass berufsständische Richtlinien nicht zur Konkretisierung<br />

dieser Generalklausel herangezogen werden dürfen. In der Facharztentscheidung BVerfGE 33,<br />

125 (156 ff.) war vom B<strong>und</strong>esverfassungsgericht unter anderem entschieden worden, dass Bestimmungen<br />

über Berufspflichten von Fachärzten einer gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lage jedenfalls dann bedürfen,<br />

wenn sie von erheblichem Gewicht für die gesamte Gestaltung der Berufstätigkeit als Facharzt<br />

sind. Dies sei z.B. bei der Pflicht der Fall, die berufliche Tätigkeit allein auf das jeweilige Fachgebiet<br />

zu beschränken <strong>und</strong> bei dem Verbot, mehrere Facharzttitel zu führen. Berufsständische Regelungen<br />

eines solchen Inhalts können nach Ansicht des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts nicht zur Konkretisierung<br />

von Generalklauseln herangezogen werden. Diese Entscheidungen, werden teils als Argument gegen<br />

eine Konkretisierungswirkung des Kodex herangezogen. Bachmann, WM 2002, S. 2137 (2138). Überzeugend<br />

ist das nicht. Zwar berühren die Kodexbestimmungen die Berufsfreiheit der Organmitglieder,<br />

wenn die Gerichte sich freiwillig an sie binden. Man wird aber zugeben müssen, dass angesichts<br />

des wachsenden Umfangs notwendiger Berufsregelungen in der modernen Gesellschaft vom Gesetzgeber<br />

nicht erwartet werden kann, dass er die Berufsausübung bis in alle Einzelheiten regelt. So<br />

BVerfGE 33, 125 (156). Daher kann eine solche Selbstbindung durchaus ein probates Mittel zur<br />

Konkretisierung berufsbezogener Generalklauseln sein.<br />

1234Spindler, in: MüKo-AktG, § 93 Rn. 31; Spindler, in: Schmidt/Lutter, § 161 Rn. 66.<br />

1235Siehe zum Folgenden Hanfland, Haftungsrisiken (2006), S. 95 ff.<br />

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