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110 KULTUR<br />
<strong>DER</strong> MITTELSTAND. 1 | <strong>20</strong><strong>20</strong><br />
Der Titel Ihres neuen Buches impliziert,<br />
dass das Schreiben ein Grundbedürfnis<br />
ist. Könnten Sie leben, ohne<br />
etwas zu Papier zu bringen?<br />
Nein. Das ist tatsächlich ein existenzielles<br />
Grundbedürfnis, so wie das Lesen. Denn<br />
schreibend und lesend halte ich mich am Leben<br />
und überlebe. Jeden Tag wieder aufs<br />
Neue. Ich schreibe, um diese unglaubliche<br />
Gelegenheit, am Leben zu sein, ganz genau<br />
wahrzunehmen und zu feiern.<br />
Was genau passiert bei Ihnen in diesem<br />
Prozess?<br />
Das ist ein großes Abenteuer. Zu schreiben<br />
bedeutet, sich aus dem kleinen ordentlichen<br />
Garten mit gemähtem Rasen und Blumenrabatten<br />
herauszuwagen in den Dschungel.<br />
Ich gehe raus, beobachte, staune und erlebe,<br />
und notiere das. Indem ich meine Erlebnisse<br />
in Sprache fasse, verankere ich mich<br />
selbst mehr im Leben. Ich kann das nur jedem<br />
empfehlen: Wer schreibt, bekommt eine<br />
Ahnung von sich selbst. Und das ist wunderbar.<br />
In Ihrem Buch erzählen Sie, dass das Lesen<br />
und Geschichtenerzählen in Ihrem Elternhaus<br />
allgegenwärtig waren.<br />
Ich erinnere mich daran, dass meine Eltern<br />
ständig gelesen haben und dass wir alle<br />
sogar harmlos lügen durften, um eine<br />
bessere Geschichte zu erzählen. Das nannten<br />
wir „Tünen“. Mir und meinen Schwestern<br />
wurde sehr stark vermittelt, dass man<br />
ein großes Reich der Fantasie betritt, wenn<br />
man lesen kann und dass man nie auf diese<br />
Möglichkeit verzichten sollte. Auch meine<br />
Großeltern liebten Geschichten. „To tell a<br />
good story“ war immer die Prämisse bei uns<br />
am Esstisch.<br />
Wann und wo schreiben Sie am liebsten?<br />
Im Bett, gleich nach dem Aufwachen. Die<br />
Zähne habe ich dann schon geputzt, und<br />
einen Becher Kaffee neben mir. Der noch<br />
Foto: © Constantin Film Verleih GmbH / Dieter Mayr