MISSION DURCH MIGRATION
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Blicke haben drei wichtige soziale Funktionen, eine Kontroll-, eine Ausdrucks-<br />
und eine Steuerungsfunktion. 124 Die schweizer Kultur ist eher blickarm und setzt Blicke<br />
mehr als Kontrollmittel ein, denn “[j]emanden nicht anzusehen verringert natürlich auch<br />
das Risiko, abgewiesen zu werden.” 125 Lateinamerika dagegen ist eher eine blickintensive<br />
Kultur, die damit Kontaktbereitschaft demonstriert und Zuneigung und Herzlichkeit zum<br />
Ausdruck bringt.<br />
1.3.4.3 Schweizer Distanziertheit und Reserviertheit<br />
Die schweizer Verhaltensweise der Distanziertheit scheint für Lateinamerikaner ebenfalls<br />
unverständlich und kaum nachvollziehbar zu sein. 126 Sie drückt einerseits den Wunsch<br />
nach Privatsphäre aus, andrerseits ist sie aber auch Ausdruck von Angst vor Ablehnung.<br />
Diese Angst scheint in der schweizer Kultur grösser zu sein als der Wunsch nach Presti-<br />
ge Anerkennung. 127 .<br />
Diese Distanziertheit drückt sich natürlich nicht nur in der nonverbalen, sondern<br />
auch der verbalen Kommunikation aus. Der Nordeuropäer bevorzugt eher vertraute und<br />
vorhersehbare Themen. 128 Der Lateinamerikaner bemängelt hier natürlich nach seinem<br />
Verständnis zu recht, dass es bei diesem Gesprächsstil mehr um die Form als um den In-<br />
halt geht, und eine Beziehung so gar nicht entstehen kann. Aber gerade das will auch der<br />
Schweizer mit seiner Zurückhaltung steuern. Er will die Kontrolle darüber nicht verlie-<br />
124 “Die Kontrollfunktion gibt die Möglichkeit, zu überprüfen, wie andere sich im Verlauf des<br />
Gespräches verhalten, die Ausdrucksfunktion sendet Signale über die Einstellungen und Absichten und<br />
die Steuerungsfunktion bedeutet, dass Blicke den andern beeinflussen und steuern können. Das r elative<br />
Gewicht, welches diesen Funktionen in verschiedenen Kulturen beigemessen wird, ist unterschiedlich<br />
und kann zu Missverständnissen und Unbehagen führen.” Collett, Der Europäer, 120.<br />
125 Collett, Der Europäer, 122.<br />
126 Siehe Anhang, Abb. 26.<br />
127 “Einer der Gründe für die Reserviertheit der Engländer ist das tiefverwurzelte Bedürfnis, andern<br />
Leuten nicht lästig zu fallen und selbst nicht belästigt zu werden. Dieser Char akterzug ist jedoch<br />
nicht auf die Engländer beschränkt und findet sich auch in andern Teilen Europas...hauptsächlich überall<br />
dort, wo es den Menschen mehr darum geht Ablehnung zu vermeiden, als Zuneigung zu wecken. Die<br />
Umgangformen in diesen Ländern sind von dem starken Wunsch geprägt, das Missfallen anderer, und<br />
die damit verbundenen negativen Konsequenzen zu vermeiden.” Collett, Der Europäer, 166.<br />
128 “Sie ritualisieren die Begegnung, so dass es weniger wichtig wird, was gesagt wird, als vielmehr,<br />
dass überhaupt etwas gesagt wird. Die Anspannung wächst jedoch spürbar, wenn die Gefahr<br />
droht, dass das Gesprächsthema ausgeht oder auf eine zu persönliche Ebene wechselt.” Susan Sontag,<br />
“A Letter From Sweden”, Ramparts (Juli 1969), 23-38, zitiert in Collet, Der Europäer, 167.