Initiierung technologischer Systeminnovationen - OPUS - Universität ...
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Die Mechaniktechnologie war in Form konkreter Rechen- und Speicherwerke<br />
bereits seit Babbages Versuchsprototypen phänomenologisch wahrnehmbar vorhanden.<br />
Erst der weit über die Mechanik hinausgehende funktional-abstrakte<br />
Blick auf die potentiellen Technologiealternativen konnte dafür sorgen, daß die<br />
Systeminnovationsidee ‘Computer’ für die beteiligten Ingenieure und Mathematiker<br />
genug Charme versprühte bzw. technologisch attraktiv erschien. Mit<br />
dieser Perspektive ließen sich dann auch – stärker in den USA als in Deutschland<br />
– Geldgeber für das Projekt ‘Computerentwicklung’ gewinnen. 21<br />
Zuse liefert in seinen Lebenserinnerungen auch eine hochinteressante Erläuterung<br />
dafür, daß er die elektrischen bzw. elektronischen Alternativen zur<br />
Realisierung von Computerfunktionen zunächst aufgrund seiner phänomenologischen<br />
Perspektive übersah: „Ich selbst hatte sie [Schreyers vermeintliche<br />
‘Schnapsidee’ mit den Elektronenröhren] nie ernsthaft verfolgt, 22 was in erster<br />
Linie meiner optischen Einstellung zur Welt zuzuschreiben sein dürfte. Dinge,<br />
die man nicht sieht, waren für mich immer schwer durchschaubar.“ 23<br />
� Die Wirkung einer eingeschränkten (bzw. erweiterten) Perspektive bei der<br />
Identifizierung geeigneter Komponententechnologien läßt sich aber nicht nur<br />
am allgemeinen Beispiel des Computers zeigen. Beispielsweise erkannten die<br />
Sony-Ingenieure, daß man die Aufnahme- und Abspielfunktionen eines Videorecorders<br />
auch mit einem einfacheren, doch funktional äquivalenten 2-Kopf-<br />
System anstelle eines 4-Kopf-Systems realisieren konnte. Dies war keine<br />
selbstverständliche Erkenntnis, wie man auf den ersten Blick meinen könnte.<br />
Ihr liegt zugrunde, daß man bei Sony (und JVC/Matsushita) das Potential der<br />
1959 erstmals anhand eines Prototyps realisierten Helical Scanner-Technologie<br />
voll erfaßte. 24 Bei dieser funktioniert das Zusammenspiel von Aufnahmeeinheit<br />
und Videoband völlig anders als bei einem ‘Transverse Scanner’ mit vier Köpfen,<br />
wie er – auch phänomenologisch leicht erkennbar – bereits seit Mitte der<br />
50er Jahren in den Profigeräten des Profisegment-Pioniers Ampex steckte.<br />
Die Helical Scanner-Technologie wurde übrigens von einem jungen Toshiba-<br />
Ingenieur entwickelt. Allerdings: Weder Toshiba noch Ampex erkannten den<br />
möglichen Nutzen durch diesen technologischen Sprung.<br />
21 Über einen der zentralen Köpfe der amerikanischen Computerentwicklung, das Multigenie<br />
John von Neumann, schreibt Kaufmann (1974), S. 175: „Und J. v. Neumann – ja er begeisterte<br />
sich an diesem technischen Sprung und trug diese Begeisterung weiter!“<br />
22 Um Mißverständnissen vorzubeugen: Zuse ist weder der Schöpfer der höchst kreativen Idee,<br />
Elektronenröhren für die Realisierung zentraler Computerfunktionen zu verwenden, noch hat<br />
er dieser Idee zum Durchbruch verholfen (vgl. Bauer (1998), S. 14). Entscheidend ist im<br />
beschriebenen Zusammenhang, daß er die Relevanz der Idee Schreyers sehr früh erkannte.<br />
23 Zuse (1993), S. 35. In einem anderen Zusammenhang (es ging um die Ausbreitung von<br />
Schockwellen bei Detonationen) äußerte John v. Neumann einmal: „Ein visualisierender<br />
Verstand kann nicht sehen, was hier passiert. Man muß das abstrakt sehen.“ (zitiert nach<br />
Fischer (1997), S. 174). Ein Treffer ins Zentrum des hier behandelten Problems des phänomenologischen<br />
‘Sehens’ bzw. Nicht-Sehen-Könnens.<br />
24 Vgl. neben Rosenbloom/Cusumano (1987) auch Kodama (1995), S 149 f.